Digitale Transformation: Wie bewegt man etwas in Unternehmen?

Vielen Geschäftsführern und Führungskräften – beispielsweise bei inhabergeführten, mittelständischen SAP-Partnern – dürfte die Zukunft volatil, unsicher, mehrdeutig und komplex erscheinen. Etablierte Denk- und Verhaltensmuster passen möglicherweise nicht, um die notwendigen Veränderungen der Digitalen Transformation erfolgreich zu schaffen.

Wir fragten Gebhard Borck, Autor und Berater, wie man einen erfolgreichen Veränderungsprozess beginnt, an welchen Stellschrauben man drehen muss, was man vermeiden sollte und was an der Digitalen Transformation grundsätzlich anders ist, als bei anderen Veränderungsprojekten.

 

Herr Borck, wie weit sind inhabergeführte, mittelständische Unternehmen in Bezug auf die Transformation?

Gebhard Borck: Ich denke, den meisten ist bewusst, dass es ein wichtiges Thema ist. Allerdings fehlt die Klarheit, wie sie mit ihm umgehen wollen. Es ist ein ziemliches Durcheinander von Angeboten wie Möglichkeiten. Das bezieht sich vor allem auf ein Kernelement dieser Transformation.

Anders als in der Vergangenheit ist inzwischen klar, sie verlangt auf jeden Fall eine soziale Innovation, die die Geschäftsleitung miteinbezieht. Damit meine ich, dass es nicht reicht, die passende neue Technologie zu finden. Für eine dauerhafte Wirkung, braucht es einen stimmigen sozialen Arbeitskontext.

Doch gerade für diesen Aspekt fehlt häufig die Kompetenz in den Führungsetagen der Mittelständler. Das ist wenig überraschend, denn bisher wurde sie schlicht nicht abverlangt. Wenn man so möchte, verdeutlicht die Entwicklung vielen ihre Kompetenzlücken. An diesem Punkt angekommen steigt die Unsicherheit.

Ein Unternehmer drückte es mir gegenüber einmal mit dieser Erkenntnis aus: „Mir ist klar, dass ich hier was tun muss. Allerdings weiß ich weder genau was, noch, ob ich dafür überhaupt geeignet bin.“

 

Welche wichtigsten Auslöser für den Veränderungswunsch nehmen Sie wahr?

Nachfolge – Der erste Fall ist, wenn die aktuellen Geschäftsführer die Firma übergeben wollen, allerdings ein Nachfolger fehlt. Sie überlegen sich, welche Schritte nötig sind, damit die Firma auf Interesse stößt.
Der zweite Fall ist, die neue Geschäftsleitung ist bereits bekannt. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie sie die nächsten ein bis zwei Jahrzehnte gestaltet.

Wachstum – Die Kunden finden das Angebot alleine. Der Vertrieb verwaltet Anfragen anstatt mit (viel) Aufwand neue Kunden via Kaltakquise zu suchen. Um der Nachfrage gerecht zu werden, braucht es ständig neue Mitarbeiter. In dieser Situation soll oft die bestehende Kultur erhalten bleiben. Wie das bei so vielen Neuzugängen klappen soll, ist unklar.

Außerdem fehlt vielen Firmen hier tatsächlich ein Geschäftsmodell, das mit Wachstum umgehen kann. Sie nehmen an, mit steigendem Umsatz, geht automatisch der Gewinn hoch. Zwei Jahre später stellen sie dann fest, wie der Teil ihrer Strukturen, der keine Ahnung hat, wie man mit Wachstum umgeht, den größten Teil des Profits auffrisst. Schlechte Prozesse, viele Schnittstellen, Kapazitätsengpässe usw. gehen zu Lasten der Qualität und der Umsatzrentabilität.

Krise – Die Nachfrage geht zurück. In dieser Situation schmerzen ineffektive und nicht effiziente Prozesse besonders. Die Firma bräuchte Leistung, hat doch nur einen stotternden ausgeleierten Motor. Strukturelle Baustellen brechen in immer kürzeren Abständen auf. Das Tischtuch ist an allen vier enden angezündet. Die ersten Leistungsträger verlassen die Firma. Es scheint unmöglich, in die für eine Lösung nötige Ruhe zu kommen.

Und in ganz seltenen Fällen gibt es noch den Faktor Einsicht: Dazu kommt es, wenn etwa einem geschäftsführenden Gesellschafter etwas passiert, dass ein Umdenken, auch für die Firma auslöst. Hier kenne ich einschneidende Erlebnisse, wie eine schwere Krankheit, ein persönlicher Verlust, ein Unfall und ähnlich gravierende Ereignisse.

Egal von welchem Auslöser wir sprechen. Für die Transformation ist nötig, dass der Blickwinkel sich auf einen längeren Zeithorizont von ein oder mehreren Jahrzehnten öffnet. Ohne diese Perspektive kommt es gegebenenfalls zu Optimierungen, aber keinesfalls zu einer Transformation.

 

… und wo sehen sie die größten Hindernisse, um die Transformation zu schaffen?

In der Bereitschaft, zuerst einmal der Geschäftsleitung, ihre Rolle und Position zu hinterfragen. Doch selbst wenn es diese gibt, scheitern sie recht schnell an der Klarheit, wohin sie eigentlich wollen. Es gibt zu viele Anbieter, die ihnen erklären, dass es die Transformation überhaupt nicht braucht. Ein bisschen Agilität hier und ein wenig Socializing da und schon ist alles wieder in Butter.

Der Vorteil dieser Angebote ist, die Geschäftsführer können so bleiben wie sie sind. Das ist angenehm. Allerdings erstickt es auf Dauer jegliche Transformation.

 

Dass Veränderung nicht ohne Einbeziehung der Beteiligten funktioniert, ist doch keine neue Erkenntnis, oder?

Nein, das spannende ist, dass diese Transformation die Einbeziehung der Führungsstrukturen verlangt. Wir sprechen also von neuen Verdächtigen. Für die Mitarbeiter sind die Schritte tatsächlich recht klein. Große Anpassungen werden von der Top-Führungsriege verlangt. Doch die ist es überhaupt nicht gewohnt, dass sie kritisch hinterfragt wird.

Die neue Erkenntnis ist, dass die Transformation an den Türen der Geschäftsführungsbüros kaum sachte anklopft – sie schlägt sie förmlich ein.

 

Was unterscheidet vergangene Veränderungen und die Digitale Transformation?

Ich erlebte in der Vergangenheit häufig, dass neue Technologien Veränderungen in den Arbeitsstrukturen erzwangen. Der Erfolg lag vor allem in der Disziplin, mit der es gelang, die frischen Werkzeuge zu nutzen. Tatsächlich ging das mehrheitlich mit weniger kognitivem Einsatz der Mitarbeiter einher. Oberflächlich lässt sich sagen: Solange ein Sachbearbeiter die Datenfelder korrekt befüllte, funktionierte der Change. Ich weiß, dass das zu schwarz-weiß ist. Es gab immer Ausnahmen zu dieser Darstellung. Doch en gros klappte das die letzten dreißig Jahre sehr gut.

Die digitale Transformation schöpft gerade dann Wert, wenn alle beteiligten Menschen ihr Hirn benutzen. Wenn sie durch Kreativität, Intuition und Emotionalität befeuert wird. In der Vergangenheit klappten Veränderungen, so lange nur wenige Menschen mitdachten. Aus dieser Entwicklung kommend, fehlen uns die sozialen Kompetenzen, um den Anforderungen der anstehenden Transformation gerecht zu werden. Es fehlen die Erfahrungen, wie ein Konzern funktioniert, in dem tatsächlich alle Mitarbeiter bei ihrer Arbeit selbständig denken.

 

Reichen Feinjustierungen oder muss ich eher das ganze Unternehmen auf den Prüfstand stellen?

Ich bin überzeugt, mit Feinjustierungen verfehlt man die Anforderungen.

 

Für wen ist es dringend und wer kann noch abwarten?

Es ist für alle dringend, die keine Klarheit in ihrem Geschäftsmodell haben, wie die Organisation mit starken Marktschwankungen – Volatilität – nach oben oder unten umgeht. Und für die, bei denen in den kommenden zwei bis fünf Jahren die Nachfolge ansteht. Alle anderen können noch abwarten.

 

Was schlagen Sie den eher vorsichtigen mittelständischen Unternehmern vor?

Sich Klarheit darüber zu verschaffen, wie ihre Firma aussehen könnte, wenn sie die Gehirne aller Mitarbeiter anschalten. Da hilft es Ihnen wenig, wenn Sie im Consulting agil aufgestellt sind. Das verlangt ein Mindset, in dem jeder Mitarbeiter die Interessen der Firma in sein Denken einbezieht.

Vorsichtige Unternehmer sollten so eine Struktur für ihre komplette Firma durchsimulieren, um sich auch auf ihre persönlichen Baustellen vorzubereiten.

 

Können Sie von Unternehmen berichten, die so einen Weg gegangen sind oder gehen?

Ja, das sind zum Beispiel meine Kunden. Der erste konsequente Abenteurer in dieser Richtung war Stephan Heiler, als er die Nachfolge der Alois Heiler GmbH antrat. Die Geschichte erzählen wir in unserem gemeinsamen Buch. Daneben haben sich bereits weitere Firmen auf den Weg gemacht.

Eine davon ist die Netsyno Software GmbH aus Karlsruhe. Sie stellt sich der Herausforderung des schnellen Wachstums. Es gibt auch noch einen Maschinenbauer aus Bayern, eine Softwarefirma in München und verschiedene andere Unternehmer, die für sich gerade die Möglichkeiten und Herausforderungen simulieren.

Daneben gibt es natürlich die Fallbeispiele etwa aus Frederik Laloux‘ „Reinventing Organzation“, Andreas Zeuch’s „Alle Macht für Niemand“ oder den Medien, Stichwort „Selbstorganisation“.

 

Wie lautet Ihre These zur Digitalen Transformation?

Will eine Firma darin erfolgreich sein, braucht sie parallel die soziale Innovation ihrer Zusammenarbeit.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Helge Sanden, Chefredakteur des IT-Onlinemagazins.

 

Weiterführende Informationen:

 

Das oben angesprochene Buch finden Sie hier:

Chef sein? Lieber was bewegen!
Warum wir keine Führungskräfte mehr brauchen

zum Buch bei Amazon

 

Wir danken Ihnen, wenn Sie diesen Artikel jetzt weiterempfehlen:

Das IT-Onlinemagazin ist Medienpartner der Transformation World 2024

Anzeige

Über die Redaktion IT-Onlinemagazin

SAP-Community Nachrichten, die Entscheider kennen sollten: Abonnieren Sie jetzt unseren IT-Onlinemagazin Newsletter. Lesen Sie Umfrageergebnisse, Insights aus dem SAP-Ecosystem, Interviews und Artikel ... und Sie bleiben kompakt informiert.

Lesetipp für Sie:

SAP S/4HANA-Umstieg stockt

Die Mehrheit der SAP-Anwenderunternehmen im deutschsprachigen Raum (46 Prozent) steigert ihre IT- und SAP-Investitionsbudgets in …