In einem Gastbeitrag fragt sich Thomas Firnkorn (Firnkorn & Storz), ob und wie individualisierte SAP-Kunden in eine standardisierte Cloud passen. Er meint: „Es bleibt auch zukünftig die Anforderung nach Flexibilität zur Abbildung kundenindividueller Lösungen bestehen.“
Wie er die Cloudstrategie der SAP bewertet und welches Fazit er daraus zieht, lesen Sie hier:
Die Cloud erreicht die Realwirtschaft
YouTube, Google, Amazon, Facebook, Microsoft und Co. erreichten in kürzester Zeit globale Beachtung, setzten Standards, bewegten die Märkte und verzeichneten erstaunliche Wachstumsraten und Umsätze in Milliardenhöhe. Grund genug für die SAP ebenfalls den Erfolg in der Cloud zu suchen.
Die anhaltende Welle, die unter dem Paradigma des Cloud-Computings nicht nur die IT, sondern auch die Realwirtschaft erreicht, droht erneut ohne Beteiligung von Deutschland und Europa stattzufinden. Ein weiterer Grund für das SAP-Ecosystem, bestehend aus SAP-Kunden, SAP-Partnern und dem SAP Management, Wege zu nachhaltigem Erfolg zu finden. SAP ist das einzige relevante Softwareunternehmen mit Sitz in Deutschland und von globaler Bedeutung. Es muss daher allen Beteiligten im Eco-System daran gelegen sein, die SAP als unabhängiges, deutsches Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.
Die Abhängigkeit von außereuropäischen Dienstleistern ist nicht zu unterschätzen
Kaum ein Unternehmen, eine Organisation oder ein Verband kann es sich heute leisten nicht in cloudbasierten, sozialen Netzwerken, wie beispielsweise Facebook, XING, LinkedIn, Twitter oder TikTok, vertreten zu sein. Ein ähnlicher Trend zeichnet sich auch in anderen Bereichen ab. Viele Unternehmen können u.a. nicht mehr auf die Logistikdienste von Amazon verzichten.
Parallel zu dieser Entwicklung drängen China, Brasilien, Indien und der Nahe Osten mit kostengünstigen und qualitativ hochwertigen Produkten und Softwarelösungen auf unseren Markt. Unternehmen wie Alibaba, Tata, Infosys oder Huawei greifen dabei als Mischkonzerne unsere Wirtschaft und IT-Branche gleichermaßen an, wie die amerikanischen Player Google, Amazon, Cisco, IBM und HP. Die Wirtschaft gibt viel Knowhow und Kompetenz an ausländische Cloudanbieter in fremden Rechtsräumen ab. In Krisenzeiten kann der Anbieter dem Kunden den Zugriff auf seine Systeme verweigern. Diese Abhängigkeit muss genau bewertet werden.
Cloud-Computing neues Geschäftsmodell
Entscheidend ist dabei, zu begreifen, dass Cloud-Computing weniger eine bahnbrechende Technologie ist, sondern vielmehr ein neues und innovatives Ge-schäftsmodell zur Leistungserbringung und Nutzung von IT-Services darstellt. Diese skalierenden Geschäftsmodelle will SAP ebenfalls für sich in Anspruch nehmen und damit die Zukunft im europäischen Rechtsraum gestalten. Das ist im Interesse aller im SAP Eco-System.
Die Konvergenz von stimmigen Geschäftsmodellen, Technologien und Kunden-Bedürfnissen ist erfolgsentscheidend
Die Kunst der Unternehmenslenker und ihren Teams liegt darin, die vielfältigen Markt- und Kundenbedürfnisse zu erforschen und in Einklang mit dem eigenen Portfolio zu bringen. Das nennt man Konvergenz.
Bei Microsoft passen die Technologie, die Applikationen und das Geschäftsmodell ideal zusammen. Der anhaltende Boom des Cloud-Geschäfts hat dem Software-Riesen Microsoft im jüngsten Quartal starke Geschäftszuwächse eingebracht. In den drei Monaten bis Ende Juni kletterten die Erlöse im Jahresvergleich um 21 Prozent auf 46,2 Milliarden Dollar (39,1 Milliarden Euro). Der Nettogewinn nahm sogar um 47 Prozent auf 16,5 Milliarden Dollar zu. Damit wurden die Erwartungen der Wall-Street-Analysten klar übertroffen.
Erklärungsbedürftige Unternehmenslösungen wie SAP dagegen finden im digitalen Vertrieb offensichtlich keinen großen Anklang, weil das oben beschriebene „Microsoft-Geschäftsmodell“ für SAP nicht passt. Trotzdem sucht die SAP angesichts dieser skalierenden und standardisierten Geschäftsmodelle mit überwältigenden Wachstumsraten, darin ihren zukünftigen Erfolg.
Die SAP als einziges relevantes, deutsches IT-Softwareunternehmen in Deutschland soll zur Cloud-Company werden.
Worauf basiert der Erfolg von SAP?
Aus welchem Grund haben sich ganze Branchen, große Konzerne und nicht zuletzt auch der Mittelstand in den letzten 30 Jahren für die SAP-Lösungen entschieden? Die Antwort ist denkbar einfach. SAP bietet als einziger Hersteller den Unternehmen die Flexibilität an, einen Standard als Unternehmenslösung zu nutzen und dabei gleichzeitig individuelle Anforderungen abzubilden. Dies geschieht mit dem unschätzbaren Vorteil, auf ein und derselben Technologiebasis der ABAB-Workbench und dem Netweaver die eigenen Programme in einem eigenen Namensraum und vollständig integriert abzubilden.
Darüber hinaus bietet SAP eine gute Basis für ein Softwarebetreibermodell. Die mindestens Drei-Tier Serverstruktur nach Entwicklungs-, Qualitätssicherungs- und Produktiv-System, bietet dem Kunden die Möglichkeit Veränderungen, Erweiterungen und Tests außerhalb des Produktivsystems zu realisieren. Das ist ein erheblicher Beitrag zur Hochverfügbarkeit.
Individualität On-Premise vs. Standard aus der Cloud
Diese Unternehmensstrategie hat der SAP nach eigenen Angaben ca. 450.000 Kunden weltweit gebracht. Das flexible Geschäftsmodell erwirtschaftet der SAP bis heute extrem stabile Margen. Allerdings entstanden 450.000 individualisierte Kunden mit hochintegrierten, in Software abgebildeten Geschäftsprozessen.
Genau das ist das Dilemma! Diese individualisierten Kunden passen niemals in eine standardisierte Cloud, wie das die amerikanischen Cloudanbieter anbieten. Es stellt sich wieder einmal die Frage; „Muss die Unternehmenssoftware den individuellen Geschäftsprozessen der Kunden folgen und anpassen, oder müssen sich die Unternehmen standardisieren, damit sie in ein Standard-Cloudmodell passen?“
Der bisherige Erfolg der Wirtschaft und vor allem den Hidden Champions in Europa und der Welt lag bis dato jedenfalls in der Individualität ihrer Kreativität und der daraus entstandenen Alleinstellungsmerkmale ihres Portfolios. Diese Unternehmen nutzen selbstverständlich internetbasierte Geschäftsmodelle und digitalisieren Vertriebs- und Serviceprozesse um Ihre Waren digitalisiert zu vermarkten. Bei erklärungsbedürftigen und komplexen Maschinen, Anlagen, Chemikalien und Projektlösungen, usw … steht nach wie vor der Mensch im Fokus. Er ist der entscheidende Erfolgsfaktor!
Der steinige Weg der SAP in die Cloud
Die SAP SE hat in dieser Situation eine schwierige Aufgabe zu lösen, die der Quadratur des Kreises gleichkommt. Einerseits sehnen sich die Kunden nach zentralen Lösungen, auf die alle Mitarbeiter und Kunden weltweit zugreifen können, andererseits sind die Geschäftsprozesse im Kerngeschäft, der Produktion und Logistik, sowie der Kundenservices individuell auf das Portfolio und die Kundschaft abgestimmt.
Mit dem SAP-Angebot der Public Cloud und mit der extrem standardisierten Clean Core Strategie werden derzeit die Kunden nicht abgeholt und der Erfolg bleibt hinter den Erwartungen zurück. Der unbestrittene Vorteil der Public Cloud mit ständig aktualisiertem Funktionsumfang und den automatischen Upgrades, steht hart gegen die über Jahre entwickelten, integrierten Kundenlösungen. Darüber hinaus kann die angebotene Funktionalität des Clean Core in der Public Cloud auch in Zukunft die vielfältigen Anforderungen der Kunden nicht abdecken.
Kundenindividuelle Anpassungen möglich
Es bleibt daher auch zukünftig die Anforderung nach Flexibilität zur Abbildung kundenindividueller Lösungen bestehen. SAP begegnet dieser Situation mit der Business Technologie Platform (BTP) und der Modularisierung des Softwareangebotes. Mit Konnektoren, App-Services und Steampunk, wird es ermöglicht, dass die SAP Public Cloud, die BTP und SAP S/4HANA auch On-Premise wieder interoperabel werden und zumindest über eine Connectivity untereinander verfügen. Die ursprüngliche hohe Integration ist allerdings nicht mehr gegeben. Developer können in der Public Cloud nichts mehr ändern, der Zugriff auf die MARA ist nicht mehr möglich.
Die Kunden müssen, wie wir es schon zur Jahrtausendwende gesehen haben, sehr viel Geld und Aufwand in die Orchestrierung der modularen Lösungen aus der Cloud mit oft unterschiedlichen Datenmodellen, investieren. Das hat allerdings zur Folge, dass SAP den bisherigen Erfolgsfaktor der Integration auf derselben Technologieplattform und Lösungsarchitektur, aufgibt. Dies wiederum hat zur Folge, dass diese nur gering integrierten modularen Lösungen einzeln in den Wettbewerb geraten und auch einzeln von den Kunden bewertet werden können. Die Entscheidungsmatrixen der Kunden wandeln sich dadurch von „Best of Integration“ wieder hin zu „Best of Breed“. SAP sieht sich plötzlich einem vielfältigen Wettbewerb ausgesetzt, den die SAP und deren Vertrieb bis dato so nie ausgesetzt war.
Partneransatz der SAP
Der neue, strategische Partneransatz der SAP mit den großen Hyperscalern, IBM, HP, Accenture, … kann über diese Problematik nicht hinwegtäuschen. Denn auch wenn der Clean Core in der SAP Public Cloud auf derselben Netweaver-Basis läuft, wie die SAP BTP und Drittsoftware bei dem Hyperscaler, ist doch die ursprünglich, hohe Integration nicht mehr gegeben. Zudem sind diese Lösungsansätze oft auf unterschiedlichen Data Centern an unterschiedlichen Locations gehostet. Inwieweit dieser Aspekt und die Tatsache der rückständigen Netzwerkinfrastruktur in Deutschland und Teilen Europas das Problem noch verstärkt, muss zukünftig genau betrachtet werden.
Daher kommen wir zu dem Schluss, dass SAP kein Technologieproblem hat, denn bei SAP ist Softwareentwicklungs- und IT Knowhow, extrem gebündelt, vorhanden. SAP hat ein Problem mit den Geschäftsmodellen, welche nicht mehr zu den Technologien und Services, sowie den Kundenanforderungen der Zukunft passen.
Fazit: Die Zukunft des SAP-Ecosystems ist hybrid
Angesichts der o.g. Aspekte, die in der Kürze nicht dazu geeignet sind, die weltweite Komplexität einzufangen und darzustellen, zeigt sich, dass die Zukunft der SAP-Community in hybriden Geschäftsmodellen liegt. Konzerne mit komplexen Strukturen und extrem hohen Anpassungen durch unterschiedliche Geschäftsbereiche, können unmöglich die bisher geleisteten, geschäftstragenden Entwicklungen stilllegen. Es ist unmöglich bisher erreichte Funktionalität im Cloud Umfeld komplett neu zu entwickeln. Das ist weder zeitlich noch finanziell darstellbar.
Aus diesem Grund ist nach unserer Einschätzung die Zukunft hybrid. Das bedeutet, dass die ERP-Kernapplikationen mit ihren individualisierten Erweiterungen auch weiterhin On-Premise bestehen bleiben und für die zukünftigen Technologieinnovationen migrationsfähig gestaltet werden müssen. Gleichzeitig sind die Anforderungen nach standardisierten Cloud-Lösungen gerechtfertigt. Funktionsbereiche, die ausgehend vom Geschäftsprozess her standardisiert werden können, wie Sales und Marketing, oder Finanzen und Controlling, sowie eCommerce, … können einfacher mit Lösungen aus der Cloud bereitgestellt werden. Dafür benötigt der SAP-Anwender allerdings die neuen SAP-Lösungen für On-Premise Installationen und für Cloud-Installationen gleichermaßen verfügbar. Zudem entwickeln sich die Infrastrukturlösungen der Infrastrukturhersteller schnell weiter, so dass große Kunden kostengünstige und performante Lösungen für die eigene Private Cloud aufbauen und betreiben können. D.h. die angestrebte Win-Win-Win Situation für die SAP-Kunden, die SAP-Partner und die SAP als Hersteller, liegt zukünftig in Technologie offenen Betreiber Modellen. Daher wird die Welt im SAP-Ecosystem in Zukunft hybrid!
Thomas Firnkorn ist geschäftsführender Gesellschafter bei der Firnkorn & Stortz GmbH.