Digital Supply Chain mit SAP, Blockchain und Digital Manufacturing

Viele produzierende Unternehmen haben ihre Lieferketten international oder sogar global organisiert. Je größer und komplexer ein System, umso anfälliger ist es für Störungen und umso schwieriger ist das Management. Der Lockdown im März und der Wiederanlauf hat als „Stresstest“ einige Erkenntnisse gebracht.

Von Andreas Schmidt und Wolfgang Weyand, beide T-Systems, wollten wir wissen, was sie aktuell beobachtet haben, wie Ende-zu-Ende-Lösungen für eine smarte Steuerung von Lieferketten aussehen können und welche Rolle SAP Digital Manufacturing und die Blockchain-Technologie dabei spielen können.

 

 

Welche Beobachtungen zum Supply Chain Management haben Sie während des Lockdowns und in der Zeit danach gemacht?

Wolfgang WeyandWolfgang Weyand: Jede Änderung des Bedarfs, die Verfügbarkeiten von Materialien, Lieferungen der Supplier sowie Lieferverzögerungen werden unmittelbar in der Supply Chain sichtbar. Alle Änderungen am Eingangstor haben auch Auswirkungen auf die eigenen Produktionsfähigkeiten sowie Lieferfähigkeiten.

Schon kurz vor dem Lockdown waren die ersten Auswirkungen in der Supply Chain erkennbar, denn bei unseren Kunden sind die Lieferavis ungewohnt häufig verändert worden. Gleiches gilt für die Lieferabrufe der Kunden, die ungewohnt häufig verändert worden sind. Meist wurden die Abrufe in die Zukunft verschoben.

Dies haben Unternehmen oft erst zu spät bemerkt, als die produzierte Ware die Produktion nicht verlassen hat und sprichwörtlich der Hof voller Ware stand. Erst dann hat man die Ursache analysiert und festgestellt, dass Abnehmer mit Rahmenverträgen den Lieferabruf immer weiter in die Zukunft gelegt haben.

Nach dem Lockdown hat sich die Situation meist nicht verändert, da der Produktionsabruf sehr spärlich erfolgt. Und dann hat jeder in den Änderungen der Abrufe genau das bemerkt, was in den Supermärkten mit Toilettenpapier erfolgt ist: Initial wird für einen Tag X ein großer Lieferabruf (da offensichtlich großer Bedarf besteht) ausgesprochen. Je näher man sich dem Tag X nähert, wird dieser Abruf angepasst und vom Volumen immer geringer, bis dieser teilweise in die Zukunft verschoben wird.

In der Zeit des Wiederanlaufs sind die tatsächlichen Lieferungen nun kleiner als vor dem Lockdown. Das wird noch ein paar Tage dauern, bis das System wieder in einem eingeschwungenen Zustand ist.

 

Wenn der Lockdown für einige Organisationen ein „Stresstest“ war, was kann man daraus für normale Zeiten ableiten?

Wolfgang Weyand: Jedes produzierende Unternehmen lernt, dass es wichtig ist mehr über die Lieferanten, deren Produktionsfähigkeit und Lieferfähigkeit zu wissen sowie einen besseren Einblick zu den Kundenbedarfen zu erhalten. Unsere Wirtschaft ist massiv miteinander vernetzt und jeder verlässt sich auf den anderen. Wenn nun ein Zahnrad stehen bleibt oder beginnt sich gegen den Strom zu verändern, so hat dies Konsequenzen in der gesamten Lieferkette.

Um gegen Lieferausfälle gewappnet zu sein wäre es erforderlich, häufiger über alternative Supplier nachzudenken. Viele Unternehmen bewerten derzeit nochmals ihre Lieferketten neu und erkennen, an welchen Punkten sie Schwachpunkte hat. Mit dem heutigen Wissen und der aktuellen Erfahrung sind einige alte und bekannte Schwachpunkte neu zu bewerten und führen zu einer Änderung der Handlungsweise.

 

Wie sieht für Sie ein smartes Supply Chain Management aus?

Wolfgang Weyand: Die IT-Integration der Systeme wird in Zukunft anders aussehen als heute. Auf der einen Seite werden viele zusätzliche Messwerte erfasst und entsprechende Schwellwerte für die Auslösung von Alarmen definiert. Auf der anderen Seite wird es neue Alerts und Ausnahmebehandlungen geben, die von den Mitarbeitern bearbeitet werden.

So lässt sich beispielsweise der Bullwhip-Effekt (Peitscheneffekt) durch eine manuelle Reaktion auf Schwellwertüber- und -Unterschreitungen in einem gewissen Maß eindämmen. Das ist für den Forecast sehr wichtig, denn— wie man anhand des Peakbedarf an Toilettenpapier gesehen hat — führt dies zu Sonderschichten in der Produktion, wobei jeder mit gutem Sachverstand diese Überproduktion hätte vermeiden können. Der Bedarf an Toilettenpapier ist durch eine Sättigung beim Consumer nun massiv eingebrochen und die Produktion in Kurzarbeit. Das wäre vermeidbar gewesen, wenn beispielweise der Bullwhip-Effekt in der Bedarfsplanung erkannt worden wäre.

Ebenso ist im Wiederanlauf der Produktion der Fokus auf Reduktion des Ausschusses und Erreichen des vorherigen Qualitätsniveaus sehr wichtig. Dies erfordert unter Einsatz von weniger Personal in der Produktion eine feingranulare und aktuellere Rückmeldung, beispielsweise von Gutmengen und Gründen für Stillstände, um frühzeitig in der Fertigung steuernd eingreifen zu können.

 

Welche Rolle spielt dabei SAP Digital Manufacturing?

Wolfgang Weyand: Mit SAP Digital Manufacturing wird ein großer Blumenstrauß an Möglichkeiten zur Verfügung gestellt. Angefangen von der Dokumentation und Überwachung der eigenen Produktion – und beispielweise Visualisierung von Stillständen und Stillstandgründen, Möglichkeiten zum Vergleich mit historischen Daten und Ableitung von Handlungsempfehlungen. Bis hin zum umfangreichen Reporting (auch über mehrere Produktionsstandorte). Daneben bietet die SAP-Suite auch Unterstützung für die Planung (Kurz-, Mittel- und Langfristplanung), die aktuell meist einer Änderung unterliegt.

Ferner sehen wir den Bedarf von kleinen Applikationen („Mini-Apps“), die zeitnah eingeführt werden können und deren IT-Footprint äußerst gering ist. Eine Einführung der vollständigen SAP Digital Manufacturing Suite erfolgt sicherlich nicht kurzfristig — und unsere Kunden sind derzeit sehr fokussiert auf betriebswirtschaftliche Quick-Wins. Daher sind Mini-Apps eine valide (Übergangs-)Lösung um die Zeit bis zur vollständigen Einführung und Änderung an einer bestehenden SAP-Landschaft zu überbrücken.

Als Betreiber und Implementierungspartner von Supply Chain-Lösungen haben wir ein paar schlanke Pakete definiert. Sie sind vorgeschnürt und helfen den Einblick in den aktuellen Status in der Supply Chain zu verbessern. Dazu ist das Ganze noch lesbar, bedienbar von einem Tablet oder entsprechenden Smartwatches. Somit eine zeitgemäße Oberfläche und Bedienbarkeit inklusive.

 

Was kann die Blockchain-Technologie für das Supply Chain Management leisten, und welche Erfahrungen aus dem produktiven Einsatz können Sie weitergeben?

Andreas Schmidt: Mit Blockchain haben wir zum einen die Möglichkeit, die sichere Ende-zu-Ende Nachverfolgbarkeit von Gütern zu überwachen. Zum anderen können aber auch benötigte Dokumente oder Zertifikate sicher zwischen den beteiligten Parteien ausgetauscht werden. Durch eine smarte Kombination von Blockchain- und IoT Daten versetzen wir Unternehmen in die Lage nicht nur die aktuelle Position ihrer Güter zu überwachen, sondern auch den aktuellen Zustand der Ware.

Wenn ein kritischer KPI in der Supply Chain überschritten wird, sei es eine zeitliche Abweichung, eine unterbrochene Kühlkette oder ein anderes wichtiges Qualitätskriterium, das nicht mehr erfüllt ist, kann der Kunde sofort reagieren und gegebenenfalls eine angepasste Bestellung auslösen. Dadurch können Güter, die beispielsweise an der geschlossenen Grenze eines Landes stehen, sehr kurzfristig bei anderen Lieferanten geordert werden.

Durch Blockchain Technik in Kombination mit IoT Daten kann somit der reibungslose – oder zumindest reibungslosere – Ablauf der Produktion sichergestellt werden. Wir arbeiten aktuell an einer Innovations-Plattform, die die Vorteile von Blockchain und vielen anderen Digitalisierungsfunktionen bündelt und deren Integration in die SAP-Systeme der Kunden sehr vereinfacht. Dadurch wollen wir erreichen, dass Kunden diese Funktionen quasi „as-a-service“ beauftragen können.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Helge Sanden, Chefredakteur des IT-Onlinemagazins.

 

Dieses Thema wird beim Thementag Logistik im Rahmen der IT-Onlinekonferenz am 17. Juni 2020 vertieft:

Die Logistik-Experten Andreas Schmidt und Wolfgang Weyand (Foto), beide T-Systems, zeigen an Projekten, wie sich eine zuverlässige Supply Chain Management-Lösung an Anforderungen unterschiedlicher Größenordnung anpasst und wichtige Kennzahlen aus Industrie 4.0-Umgebungen berücksichtigt.

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