SAP Cloud Geschäft wird vom Finanzmarkt unterschätzt

Wie bewerten Finanzanalysten die SAP-Aktie? Welchen Einfluss hat das Cloud-Modell auf die Zukunft von SAP? Wie sind die aktuell veröffentlichten SAP Geschäftszahlen zu interpretieren? Welches Potenzial hat die SAP Aktie?

Stephan Heibel ist Herausgeber des Heibel-Ticker Börsenbriefes. Nach Wirtschaftsstudium mit Diplomarbeit im SAP-Umfeld arbeitete er einige Jahre als SAP-Berater in Europa und den USA, bevor er sich im Jahr 2000 mit seinem Börsenbrief selbständig machte. Der Heibel-Ticker zählt derzeit über 20.000 Leser, für seine Kunden beobachtet Stephan Heibel ein Portfolio von rund 15 Aktien.

Die SAP-Aktie ist seit dem 5.9.2013 als Wachstumsaktie im Portfolio des Heibel-Tickers enthalten. Im folgenden Gastbeitrag legt Stephan Heibel die Sichtweise eines Börsianers auf diese Aktie leicht verständlich dar.

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Liebe SAP-Insider,

Stephan Heibel SAP Bewertungerst am vergangenen Samstag habe ich mich auf der Invest in Stuttgart im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit meinem Gesprächspartner (oder sollte ich besser sagen: Kontrahenten) über den sogenannten „home bias“ gestritten. Die Wissenschaft errechnet, dass man bei der Auswahl der Aktien für das eigene Portfolio weder auf sein Heimatland, noch auf seine Kenntnisse Rücksicht nehmen solle.

Ich hielt dagegen, dass Anleger gerade durch ihre eigenen Erfahrungen oftmals einen Wissensvorsprung vor Analysten und somit auch vor Börsenkursen haben. Sie als SAP-Anwender und –Entwickler sehen inhaltliche Veränderungen, die sich erst viel später in für Analysten verständlichen Zahlen ausdrücken. Das ist insbesondere bei langfristigen strategischen Entwicklungen von Vorteil, und Sie können Ihre Einblicke für eine Entscheidung pro oder kontra SAP-Aktienkauf berücksichtigen.

SAP wandelt sich derzeit von einem lizenzbasierten Geschäftsmodell (70% des SAP-Geschäfts) zu einem Cloud-Unternehmen (11%). Dieser Wandel hat zwei für SAPs Finanzen auf den ersten Blick negative Änderungen zur Folge: Zum einen werden nicht mehr Lizenzgebühren bei Vertragsabschluss in einem großen Betrag vom Kunden an SAP überwiesen, sondern meist quartalsweise über die Dauer der Nutzung. Der Lizenzumsatz verliert also schneller, als der neue Cloud-Umsatz zulegen kann. Zum zweiten wird die größte Umsatzposition, Softwaresupport für Lizenzkunden, durch diese Umstellung ebenfalls angegriffen, da der Softwaresupport in der Cloud ja gerade einer der Vorteile des Cloud-Modells für Kunden ist: Anpassungen werden zentral vorgenommen, die Supportkosten sinken.

Ein weiterer belastender Faktor kommt hinzu: Das 1972 gegründete Kreuzfahrtschiff SAP ist nicht mehr so schnell und wendig, wie das 1999 gegründete Schnellboot Salesforce.com. Mit schicken Auswertungen, die häufig auf SAP aufgesetzt sind, erobert Salesforce derzeit die Herzen des Managements sowie des Vertriebs im Sturm, und verschafft sich damit Zugang zu den strategisch wichtigen Entscheidern in Unternehmen. Durch diesen neuen Wettbewerber ist SAP gezwungen, das Cloud-Modell finanziell attraktiv zu gestalten, die Gewinnmarge des Konzerns sinkt.

 

SAP Übernahmen drücken auf Gewinnmarge

Im Dezember 2013 hat SAP für 6,5 Mrd. Euro Concur übernommen. Concur bietet eine Reisekostenabrechnung über die Cloud an. Zum Zeitpunkt der Übernahme mit 546 Mio. USD Jahresumsatz und einem Gewinn von 6,4 Mio. USD wurde der Cloud-Umsatz zwar ad hoc um etwa 40% gesteigert, der Gewinn jedoch nur um etwa 2%.

Die im März 2014 folgende Übernahme von Fieldglass, einem Cloud-Anbieter von Personalvermittlung und –verwaltung, hat den Effekt der Umsatzsteigerung im Cloud-Bereich bei gleichzeitig schwacher Gewinnmarge nur noch verstärkt.

 

Finanzanalysten fürchten Wachstumsschwäche

SAP BörseFür zahlengläubige Analysten stellte sich die Situation nun wie folgt dar: Das Umsatzwachstum lässt nach (Grund: Wandel zum Cloud-Geschäft). Gleichzeitig bricht auch der Gewinn ein und zwar, weil der vermeintliche Hoffnungsträger der Zukunft, die Cloud, mit kleineren Gewinnmargen hantiert. Zum Beweis findet der Analyst dann auch die rückläufige Gewinnmarge in der Bilanz. Ungemach im Anzug, lautet das Urteil vieler Analysten.

So haben derzeit nur 11 Analysten eine Kaufempfehlung für SAP ausgegeben, 12 hingegen raten nur zum Halten der Position. Einer (BNP Paribas) empfiehlt sogar den Verkauf der Aktie. Dieses Verhältnis ist schon ziemlich schlecht. Sie müssen dazu wissen, dass Analysten ihre Existenz dadurch sichern, dass sie gute Aktien zum Kauf empfehlen. Nur selten verdienen sie Geld mit Verkaufsempfehlungen, mitunter verliert die Bank eines Analysten, der eine Verkaufsempfehlung ausspricht, sogar das entsprechende Unternehmen als Kunden. Meistens überwiegen also die Kaufempfehlungen, bei ein paar mutigen Halte-Empfehlungen. Für SAP ist die Finanzbranche derzeit also ziemlich negativ gestimmt.

 

Vorzug des Abo-Modells wird noch verkannt

Als Anbieter eines Börsenbrief-Abonnements kann ich Ihnen versichern, dass ein Abo-Modell viele Vorteile hat. Obwohl meine Kunden jederzeit kündigen können und sogar anteilig bezahlte Abogebühren zurücküberwiesen bekommen, ist dieses Modell um Längen verlässlicher, als ein Modell, bei dem ich regelmäßig meine Kunden zum Neuabschluss des Abos überzeugen müsste.

Und genauso ist es bei dem Cloud-Modell. SAP Cloud-Kunden zahlen den vermeintlich kleinen Betrag quartalsweise gerne und wissen, dass sie sich jederzeit aus diesem Modell verabschieden können. Es entfällt die regelmäßige Entscheidung über die Zahlung hoher Lizenzgebühren bei erforderlichen Upgrades, und damit werden Anpassungen flexibler und schneller umgesetzt. Es entfällt der Prozess der Entscheidungsfindung beim Kunden und dadurch bleiben die Kunden länger bei der Stange.

 

SAP Bewertung zu günstig

Kommen wir also abschließend zur Bewertung von SAP sowie zur Errechnung eines möglichen Aktienkurses für die kommenden 12-18 Monate. Am gestrigen Dienstag hat SAP seine Geschäftszahlen für das erste Quartal 2015 veröffentlicht. Währungseffekte, Verwässerung durch Übernahmen und Aktienrückkäufe machen die Interpretation der Zahlen für den Finanzlaien schwer. Konzentrieren wir uns also auf die wichtigsten Zahlen:

Vor einem Jahr stand der Euro noch bei 1,37 USD/EUR, heute bei 1,07 EUR/USD. Der Euro ist also um 22% weniger wert, der US-Dollar mehr. Der in US-Dollar erzielte Umsatz ist also nach Umrechnung in Euro derzeit um 22% höher als vor einem Jahr. Der Wechselkursunterschied im ersten Quartal 2015 im Vergleich zum ersten Quartal 2014 betrug durchschnittlich 12%. So gibt SAP einen in Euro gerechneten Umsatzanstieg gegenüber dem Vorjahresquartal von +22% an, der Umsatzanstieg durch gestiegene Nachfrage, also gerechnet in lokalen Währungen, betrug hingegen nur 10%.

Der Gewinn sprang um 15% auf 1,06 Mrd. Euro, doch auch hier müssen wir für eine längerfristige Betrachtung den Währungseffekt herausrechnen. In lokalen Währungen ist der Gewinn um -2% zurückgegangen. Allerdings war vor einem Jahr Fieldglass noch nicht in den Zahlen enthalten, die Gewinnmarge vor einem Jahr dadurch höher. Da keine Zahlen über die Fieldglass-Übernahme veröffentlicht wurden, können wir diesen Effekt leider nicht ausrechnen. Wir müssen auf das nächste Quartalsergebnis warten, um einen Vergleich der Entwicklung der Gewinnmarge auf vergleichbarer Basis vornehmen zu können.

Ohne Währungseffekt und auf vergleichbarer Basis, also ohne Sondereffekte durch Übernahmen, wird der Umsatz von SAP im laufenden Jahr um 15% steigen, wenn man Analystenschätzungen glaubt. Insbesondere Concur und Fieldglass werden, so SAP, den Umsatz im Cloud-Bereich um 50% steigern. Insgesamt soll der Umsatz in der Cloud um 85% gesteigert werden. Das hat natürlich einen belastenden Einfluss auf die Gewinnmarge, und so wird der Gewinn mit 11% unterproportional wachsen.

Schauen wir uns einmal die Bewertung von Adobe zum Vergleich an. Adobe beispielsweise hat den Umstieg auf die Cloud bereits erfolgreich vollzogen, steigert den Gewinn um jährlich 10% und wird mit dem 20-fachen des Gewinns an der Börse bewertet. Analystenerwartungen zufolge steigert SAP den Gewinn ebenfalls um 10% jährlich, wird jedoch nur mit dem 16-fachen bewertet.

 

Fazit: 25% Kurschance

Ich halte für SAP ein vergleichbares Bewertungsniveau wie für Adobe für angemessen, da beide Unternehmen ein ähnliches Geschäftsmodell verfolgen. Wenn, dann sollte SAP eher höher bewertet werden, weil es für ein Unternehmen schwerer ist, sich von SAP zu trennen als für Adobe einen Ersatz zu finden. Um jedoch nur auf ein vergleichbares Bewertungsniveau wie Adobe zu kommen, müsste der Kurs der SAP Aktie um 25% von derzeit 69 auf 86 Euro ansteigen.

Adobe ist den Weg jedoch bereits erfolgreich gegangen, SAP ist noch unterwegs. Ein solcher Wechsel des Geschäftsmodells ist riskant, es könnten jederzeit weitere Investitionen erforderlich werden, mit denen heute nicht gerechnet wird. Für dieses Risiko wollen Anleger einen Preisnachlass, daher die günstigere Bewertung von SAP.

Doch solche zusätzlichen Investitionen verzögern gegebenenfalls die Gewinnentwicklung, stellen sie jedoch nicht in Frage. Entsprechend dürfte sich durch solche unvorhergesehenen Investitionen der Kursanstieg verzögern, jedoch nicht in Frage gestellt werden. Sofern SAP an den Wachstumszielen festhält, wird die Aktie meiner Einschätzung nach in Richtung 86 Euro laufen.

Was diesen Lauf jedoch gefährden könnte, wäre eine weitere Verschärfung des Wettbewerbs, sodass SAP zu weiteren Preissenkungen gezwungen wird. Zudem würden Entscheidungen von SAP-Kunden gegen S/4 HANA und für alternative Lösungen die technologische Vormachtstellung SAPs und somit die Wachstumsziele insgesamt in Frage stellen. Doch genau das sind Entwicklungen, die Sie als SAP-Anwender und –Entwickler wesentlich besser beobachten können als Finanzanalysten.

Wenn ich Sie über die Entwicklungen auf dem Laufenden halten soll, melden Sie sich einfach und unverbindlich für meinen kostenfreien Börsenbrief Heibel-Ticker an.

 

 

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