
Die Datenmigration gilt auf dem Weg zu SAP S/4HANA vielen als lästiges Pflichtprogramm. Doch dieser Blickwinkel greift zu kurz: In Wahrheit entscheidet sie maßgeblich über Erfolg oder Scheitern einer Transformation. Wer hier unvorbereitet agiert, riskiert nicht nur Mehrkosten, sondern auch operative Risiken und Projektverzögerungen. Wir haben mit Philipp Gerhards (PwC) darüber gesprochen, worauf es bei der Datenmigration ankommt und wie CIOs und Entscheider dafür die richtigen Hebel stellen.
Gute Vorbereitung macht den Unterschied
Was ist im Vorfeld von SAP-Migrationsvorhaben generell (immer wieder) zu prüfen – und warum?

Philipp Gerhards: Die gründliche Vorbereitung einer Datenmigration ist die halbe Miete. Das gilt sowohl für die Einordnung der spezifischen Anforderungen im Hinblick auf die Übernahme von Altdaten als auch für die Identifizierung unverzichtbarer Datenobjekte: Stehen Bereinigungen oder Umstellungen noch aus? Welche historischen Daten werden benötigt und wo kann das Potenzial einer grünen Wiese ausgeschöpft werden? Welche Daten sind für den Geschäftsbetrieb unverzichtbar und welche beeinflussen strategische Entscheidungen? Derartige Fragen sollten im Vorfeld der Migration unbedingt geklärt sein.
Ebenfalls wichtig: Relevante Quellsysteme müssen identifiziert und präzise dokumentiert, die eigene Ressourcenlage ehrlich eingeschätzt werden. Eine RACI-Matrix hilft, Verantwortlichkeiten zu regeln und den potenziellen Bedarf für die Einbindung externer Partner zu definieren.
Welche Rolle spielt das ECC-Wartungsende im Bereich der Datenmigration für SAP-Anwenderunternehmen?
Philipp Gerhards: Eine signifikante! Es erhöht den Zeitdruck für den Umstieg auf SAP S/4HANA massiv – und damit natürlich auch die Dringlichkeit für die Konzeption einer Altdatenübernahme. Wer jetzt nicht rechtzeitig plant, riskiert Engpässe und Gefahren für die Geschäftskontinuität.
Fallstricke und Erfolgsfaktoren der Datenmigration
Warum stellt die Datenmigration beim Cloud-Move viele SAP-Anwender vor Herausforderungen? Welche Fallstricke gibt es und wie lassen sich typische Hürden meistern?
Philipp Gerhards: Die größte Herausforderung liegt in der Komplexität der Datenlandschaft. Über Jahre hinweg haben Unternehmen große Datenmengen in unterschiedlichen Formaten und Systemen angesammelt. Die Integration dieser Daten in die Cloud kann erhebliche, technische Anstrengungen erfordern. Altdaten müssen vor der Migration bereinigt, konsolidiert und oftmals transformiert werden, um die Konsistenz und Qualität sicherzustellen. Die Integration bestehender Systeme und Anwendungen mit neuen Cloud-basierten Lösungen ist – nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Datenmodelle und strenger Datenschutzbestimmungen wie der DSGVO – technisch ebenfalls herausfordernd.
Wir erleben immer wieder, wie unzureichende Planung, fehlende Expertise und Unterbrechungen des Geschäftsbetriebs Transformationsprojekte ins Straucheln bringen. Gerade beim Übergang in die Cloud ist eine umfassende Migrationsstrategie, die alle Aspekte – von der Datenbereinigung bis zur Integration – abdeckt, erfolgsentscheidend. Dazu gehört auch die sorgfältige Planung von Testmigrationen und Ressourcen.
Gibt es Best Practices oder Empfehlungen, die Entscheidern auf dem Weg in die Cloud helfen, die Datenmigration erfolgreich vorbereiten und umsetzen?
Philipp Gerhards: Unternehmen sollten Stamm- und Bewegungsdaten in ihren Quellsystemen analysieren und die Migrationsobjekte bündeln. SAP stellt hierfür eine Übersicht zur Gegenprüfung auf Cloud-Kompatibilität bereit. Außerdem gilt es, die Altdatenübernahme frühzeitig ins Rampenlicht zu stellen und individuelle Anforderungen klar zu definieren. Für die Auswahl des passenden Tools empfiehlt sich ein Proof of Concept (PoC) mit ausgewählten Migrationsobjekten – intern oder mit externer Unterstützung. Und ganz wichtig: Mut! Eine Datenmigration ist längst kein „Nischen-Teilprojekt“ mehr, sondern steht sinnbildlich für den SAP S/4HANA Best Practice.
Methoden der Datentransition
Welche Möglichkeiten der Datenmigration gibt es von SAP ECC zu SAP S/4HANA und welche Vor- und Nachteile bergen sie?
Philipp Gerhards: Drei gängige Methoden einer Altdatenübernahme von SAP ECC nach S/4HANA sind die manuelle Pflege, die transaktionale Verbuchung und die tabellenbasierte Übernahme.
Manuelle Migration, zu empfehlen bei einem Datenobjekt mit geringen Mengengerüst, ist zeitaufwendig und naturgemäß fehleranfällig, bietet jedoch Transparenz und Kontrolle.
Die transaktionale Verbuchung erfolgt u.a. mit Funktionsbausteinen, sodass die zu migrierenden Altdaten gegen Customizing/Entwicklungen im Ziel-System verprobt werden, womit die Integrität und Konsistenz sichergestellt sind. Ebenfalls können vom System voreingestellte Feld-Ableitungsregeln beansprucht werden. Es erfolgt eine automatisierte, massenhafte Verbuchung von Transaktionen wie im Geschäftsbetrieb, die je nach Komplexität Laufzeit beansprucht. In Anlehnung an das Ziel einer Altdatenübernahme, der produktiven Datenmigration, für die Cut-Over-Planung ist zu prüfen, welche Stamm- und Bewegungsdaten zu welchem Zeitpunkt übernommen werden können (u.a. Stammdaten-Freeze, offene Posten) und müssen (u.a. Berücksichtigung der Ladezeit). Um den benötigten Zeitaufwand je Migrationsobjekt zu evaluieren und anschließend in der Cut-Over-Planung einzuordnen, empfiehlt es sich, in der Projektplanung eine produktivnahe Generalprobe vorzusehen,
Wenn große Datenmengen bewegt werden müssen, so kann möglicherweise eine direkte Migration von Tabellen schneller und einfacher zu implementieren sein. Der Automatisierungsgrad ist hoch, manuelle Eingriffe lassen sich erheblich reduzieren. Die tabellenbasierte Übernahme erfordert allerdings eine präzise Konzeption, um die richtige Zuordnung von Tabellen/Feldern zwischen Quell- und Ziel-System zu gewährleisten. Um eine einheitliche Abbildung auf alle referenzierenden SAP-Tabellen vorzunehmen, sind notwendige Feld-Umschlüsselungen (bspw. Mapping von Zahlungsbedingungen, neue Materialnummern oder ein geändertes logisches System) auf Ebene Domäne/Datenelement zu platzieren.
Für welche Branchen oder Unternehmen sind die jeweiligen Migrationsarten besonders geeignet?
Philipp Gerhards: Zuerst einmal: Eine vollständig automatisierte Altdatenübernahme ist in der Praxis kaum realistisch. Selbst beim Brownfield-Ansatz mit dem Software Update Manager (SUM) und der Database Migration Option (DMO) kommt man oftmals ohne manuelle Nacharbeiten nicht aus.
Die transaktionale Migration mit SAP-Standardfunktionen empfiehlt sich vor allem bei einem Greenfield-Ansatz, ohne Notwendigkeit von Historie, einem händelbarem Mengengerüst (bspw. <10.000 Materialstammdaten) und einem hohen Abdeckungsgrad mit den verfügbaren Funktionen im Migrationscockpit oder der Legacy System Migration Workbench (LSMW). Die dafür erforderlichen Bordmittel sind inkludiert und bewährt.
Wir konnten in der jüngeren Vergangenheit aber auch gute Erfahrungen mit der tabellenbasierten Altdatenübernahme machen. Vor allem bei Transformationsvorhaben mit hohen Anforderungen an Flexibilität, Mengengerüsten auf Objekt- und Feldebene, sowie beim Einsatz von Industry Solutions (IS) ist dieser Ansatz meiner Meinung nach eine gute Alternative.
Selective Data Transition als Mittelweg?
Aktuell erfreut sich auch die Selective Data Transition (SDT) steigender Beliebtheit. Wann setzen Unternehmen erfahrungsgemäß auf diesen Mittelweg – und in welcher Form?
Philipp Gerhards: Selective Data Transition kommt vor allem dann ins Spiel, wenn Unternehmen das Potenzial einer Altdatenübernahme nicht als lästige und notwendige Pflichtaufgabe wahrnehmen, sondern die Potenziale einer sauberen Datenbasis im Blick haben. In der Praxis wird SDT selten als reiner Weg beschritten, sondern vielmehr als flexibler Bestandteil von Green- oder Brownfield-Szenarien.
Meiner Meinung nach eignet sich SDT insbesondere für Projekte mit hoher Datenkomplexität, großen Mengen historischer Daten oder eben, wenn Industry Solutions ins Spiel kommen. Die zur Verfügung stehende Systemausfallzeit spielt bei der Entscheidung für SDT ebenfalls eine erhebliche Rolle – Stichwort Near-Zero Downtime.
Doch Vorsicht: SDT ist weder Wundermittel noch Wunschkonzert. Diese Art der Datenübernahme ist mächtig und öffnet Tore, womit eine realistische und konsistente Konzeption umso dringlicher ist.
