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Optimierungen nach der Brownfield-Umstellung

„Es muss nicht immer Greenfield sein. Die passende Prozess- und Systemoptimierung nach der Brownfield-Conversion sichert nicht nur frühere Investitionen, sondern schafft auch echten Mehrwert im Unternehmen“, sagt Yannik Jodehl (Managing Consultant Enterprise Architecture, CONSILIO).

In seinem Gastbeitrag erläutert er, was für eine Greenfield- oder Brownfield-Conversion spricht, wann eine Investition in neue Prozesse wirklich Sinn ergibt, welche Optimierungen sich im Anschluss an eine Brownfield-Umstellung anbieten und wie man sein SAP-System technisch sauber hält.

 

 

Beyond Brownfield: Aus alt wird neu

Jodehl-YannikDie Anforderungen an Enterprise Ressource Planning im Zuge der digitalen Transformation lassen sich mit einem klassischen ERP-System nicht mehr zufriedenstellend bewältigen. Die zunehmende Komplexität der Prozesse und Wertschöpfungsketten oder neue Technologien wie IoT, Automatisierung sowie Artificial Intelligence zeigen schnell die Grenzen des Systems auf. Erschwerend kommt hinzu, dass SAP die Wartung für SAP ECC nur noch bis 2027 sicherstellt.

Unternehmen sind daher technisch und wirtschaftlich dazu angehalten auf S/4HANA zu wechseln. Doch der Umstieg gilt als aufwändig und anspruchsvoll, da er nahezu jeden Geschäftsbereich berührt und betrifft — sowie ohne Unterstützung durch Dienstleister kaum zu bewältigen ist. Hinzu kommt, dass mehrere Wege zur Auswahl stehen. Unternehmen sollten sich daher einige grundsätzliche Gedanken in strategischer, taktischer und operativer Hinsicht machen, bevor sie sich für eine der angebotenen Migrationsstrategien entscheiden.

 

Qual der Wahl bei der Migrationsstrategie

Bei einem Wechsel auf S/4HANA haben Unternehmen laut SAP die Wahl zwischen drei Szenarien: Greenfield, Brownfield und Selective Data Transition. Der Greenfield-Ansatz beschreibt die komplette Neuimplementierung von S/4HANA. Für viele Unternehmen ist dies jedoch ein sehr aufwendiges und nicht zwingend notwendiges Szenario. Grund: Zwar deckt eine aktuelle SAP-ERP-Lösung die meisten Geschäftsanforderungen weitgehend ab, doch Anpassungen und Modifikationen, die für den Automatisierungsgrad der Kundenprozesse essenziell sind, fehlen.

In diesem Fall empfiehlt sich der Brownfield-Ansatz. Bei ihm wird das SAP-ERP-System ähnlich einem Release-Wechsel nach S/4HANA überführt. Der mit der Crossfield-Variante von CONSILIO vergleichbare Selective-Data-Transition-Ansatz ist hingegen ein Mix aus beiden Welten und ermöglicht die umfassende Anpassung von Prozessen und Organisationsstrukturen – inklusive der Beibehaltung von historischen Daten. Bezüglich Kosten und Aufwand liegt sie in der Regel unterhalb eines vergleichbaren Greenfield-Ansatzes.

 

Neue Besen kehren gut …

Einige Unternehmen tendieren beim Umstieg auf S/4HANA zu einem Greenfield-Ansatz, weil sie das eigene System als nicht mehr zeitgemäß und zu wenig flexibel erachten. Bei dieser Implementierung von SAP S/4HANA werden sämtliche Prozesse und Systeme komplett neu installiert und konfiguriert — und zwar stets nah am SAP-Standard und den von SAP vorgegebenen Best Practices. Der Greenfield-Ansatz ist daher vergleichbar mit der Situation eines Unternehmens, das ganz neu mit einer ERP-Software an den Start geht. Dass damit ein teilweiser oder auch kompletter Verlust der Datenhistorie sowie des Automatisierungsgrades in Kauf genommen werden muss, sollte jedem Unternehmen bewusst sein.

Vor dem Umstieg via Greenfield-Ansatz werden vom Dienstleister die bestehenden Geschäftsprozesse und Daten analysiert und optimiert, um die Transformation auf die neue ERP-Software vorzubereiten. Wenn das System steht, werden die Stammdaten migriert und die Anwender geschult. Danach folgt der Go-live. Folglich müssen auch die Unternehmensstrukturen grundlegend verändert und an die neuen Prozesse angepasst werden. Aufgrund der aufwändigen Prozessentwicklung und des Customizings ist der Greenfield-Ansatz kosten- und zeitintensiv.

Erfahrungen zeigen, dass dieser Weg aber nur zu rund 10 Prozent der Unternehmen optimal passt. Dazu zählen etwa Anwender deren Altsysteme nach vielen Jahren nur schwer zu verwalten, mit viel kundenspezifischer Kodierung und unterschiedlichen Konfigurationen beladen sind, oder deren Prozesse und Geschäftsmodelle sich über die Jahre so stark verändert haben, dass sie nicht mehr richtig zum Unternehmen passen. Beispiele dafür können Merger, Akquisitionen, Buy-outs oder Carve-outs sein. Hier müssen oftmals die Systeme und Prozesse rund um Produktion, Warenwirtschaft, Kundenbeziehungen und Finanzen an die neue Unternehmensgröße, Organisation und möglicherweise an die neuen Reporting- und Rechnungslegungsvorgaben angepasst werden. In vielen dieser Fälle ist der Greenfield-Ansatz die beste Alternative.

 

… alte Besen kennen die Ecken

Sind Unternehmen grundsätzlich mit ihrem System und den Prozessen zufrieden, empfiehlt sich hingegen ein Brownfield-Ansatz. In der Praxis zeigte sich, dass das bei rund 90 Prozent aller Unternehmen der Fall ist. Durch eine Konvertierung des Altsystems profitieren Anwender auf den ersten Blick zweifach: Bestehende Prozesse, Daten und individuelle Entwicklungen werden in SAP S/4HANA übertragen und aktuelle Geschäftsprozesse werden nicht beeinträchtigt.

Doch die technische Konvertierung ist — auf den zweiten Blick — nur der erste Schritt in die richtige Richtung: Denn durch das Upgrade werden die bestehenden Prozesse und individuellen Entwicklungen ohne Wenn und Aber in das neue System übertragen. Folge: Die Komplexität des vorhandenen, oft heterogen gewachsenen Systems bleibt erhalten. Das volle Potenzial von S/4HANA bleibt aufgrund der teils nicht beachteten Standards verwehrt. Dies führt in der Realität dazu, dass der Wartungsvertrag, mit dem man auch die funktionale Weiterentwicklung von HANA bezahlt, nur zum Erhalt der Bug-Fixes genutzt wird.

 

Erfolgreich durch Optimierung

Um an Funktionserweiterungen und neuen Entwicklungen zu partizipieren, sollten Anwender beim Wechsel eine Neubewertung von Anpassungen sowie der bestehenden Prozessabläufe durchführen. Dadurch identifizieren sie vorhandenen Ballast – wie obsolet gewordene Entwicklungen oder alten Code – der sich über Jahre oder Jahrzehnte angesammelt hat. Die Erfahrung aus unterschiedlichen Implementierungsprojekten zeigt, dass Unternehmen 60 bis 70 Prozent der individuellen Kundenerweiterungen nicht mehr aktiv nutzen. Diese Altlasten zementieren nicht nur die Heterogenität und Komplexität des Systems, sondern widersprechen auch dem Gedanken des Digital Core.

Bereits vor und während des Umstiegs ist es daher essenziell, alle Add-Ons, Modifikationen oder Erweiterungen zu prüfen — und wenn nötig zu entfernen. Wer diesen Schritt nicht konsequent verfolgt, zahlt langfristig das Doppelte bis Dreifache dessen, was es gekostet hätte, wenn er die Aufgabe bereits bei der Custom Code Conversion im Rahmen des Wechsels erledigt hätte.

Die Prüfung schafft nebenbei eine Transparenz, die auch die Schattenseiten des eigenen Systems offenbart. Sie ermöglicht es dem Anwender detailliert zu erkennen, was getan werden muss, um Problemfelder effizient zu bearbeiten. Außerdem gibt sie Hinweise darauf, welche Bereiche des Systems nach einer Conversion weiter bereinigt werden können. Etwa, wenn es darum geht, Custom Code zu identifizieren, der über Side-by-Side-Ansätze entfernt werden sollte, um eine Migration in die SAP Public Cloud zu realisieren. Das Vorgehen lässt sich so weit intensivieren, bis man beim idealen Clean-Core angekommen ist, der jeden Release-Wechsel zum Kinderspiel macht.

 

Fit für die Zukunft

Sollte sich bei der Systemanalyse herausstellen, dass ein etablierter Prozess des ECC-Systems in S/4HANA in seiner ursprünglichen Form nicht mehr verfügbar ist, lassen sich die alten Funktionalitäten in den neuen, ausgelieferten Apps von SAP S/4HANA abbilden. Das System bleibt dadurch technisch sauber und ist bestens für künftige Entwicklungen und Release-Wechsel gewappnet.

Hinzu kommt, dass es stets einfacher ist, Dinge nach einer Konversion wieder aus dem System zu entfernen, als sie im Nachhinein aus dem alten ECC in ein Greenfield-System manuell zu übernehmen. Unsaubere Abgrenzungen und fehlende Transparenz bei den Abhängigkeiten treiben bei dieser Methode den Aufwand in schwindelerregende Höhen. Daher gilt: Lieber kurzfristig einen Prozess zu viel übernehmen, als ihn nachher aufwändig nachzubauen — schließlich lässt er sich vergleichsweise einfach wieder entfernen.

 

Nötige Veränderungen

Das technische Upgrade zieht zwangsläufig auch Veränderungen in den Arbeitsprozessen nach sich. Jedem sollte klar sein, dass der Schlüssel zur Nutzung der neuesten digitalen Features nicht allein der Wechsel der darunter liegenden Technologieplattform ist. Zwar lassen sich auch weiterhin die meisten Dinge über die SAP GUI steuern, und es bedarf also nur einer minimal veränderten Arbeitsweise. Wer jedoch S/4HANA samt seinen neuen Technologien ausschöpfen will, kommt um SAP UI5 und Fiori nicht herum.

Beyond-Themen wie RPA (Intelligente robotergesteuerte Prozessautomatisierung), Machine Learning oder AI (Artificial Intelligence) lassen sich nur mit diesen Technologien aktivieren und nutzen. Gleiches gilt für die gesamten Funktionalitäten in der SAP Business Technology Platform (BTP). Hier sollte das Unternehmen eine grundsätzliche Entscheidung treffen und folgende Fragen klären: An welchem Punkt der Entwicklung stehe ich gerade? Wie sieht meine bisherige Systemlandschaft aus? Welche IT-Architektur strebe ich an, und welchen Aufwand möchte ich betreiben?

 

Fazit

Nur eine eingehende System-Analyse mit Tools (wie beispielsweise den CONSILIO-Assessment-Paketen) kann letztlich klären, ob ein Brown- oder Greenfield-Ansatz die optimale Lösung für ein Unternehmen darstellt. Dabei sollte aber stets in Betracht gezogen werden, dass das Reengineering von Prozessen sehr kosten- und zeitintensiv ist.

Es drängt sich daher die Frage auf, ob eine Investition in neue Prozesse wirklich Sinn ergibt. Funktionierende Prozesse aus dem alten System mit kleinen Änderungen und wenig Aufwand in S/4HANA zu überführen ist günstiger als sie neu zu modellieren. Außerdem sehen die neuen Prozesse den alten oft zum Verwechseln ähnlich und unterscheiden sich nur geringfügig im Customizing. Solche Investitionen wären in den meisten Fällen besser an Stellen aufgehoben, die dem Unternehmen einen Mehrwert in neuen Bereichen bescheren und so einen Zugang zu neuen Wettbewerbsvorteilen sichern. Denn Innovationen stellen sich häufig erst nach der Transformation ein.

 

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