Offizielle Zahlen fehlen, doch 20 bis 30 Prozent der offenen Stellen im SAP-Kosmos dürften wohl unbesetzt bleiben – und zwar über alle Rollen und Branchen hinweg. Um wertvolle SAP-Consultants in den eigenen Reihen zu halten, sollten Unternehmen deshalb unbedingt die eigene Retention-Strategie auf den Prüfstand stellen, empfiehlt Personal- und Recruiting-Beraterin Sarah Niesel vom SAP-Karrierenetzwerk Ankerkopf (Foto). Was es braucht, um SAP-Fachkräfte erfolgreich zu binden, erklärt sie in ihrem Gastbeitrag.
Berufliche Werte der SAP-Consultants beachten

Personalgewinnung und Mitarbeiterbindung sind im Grunde zwei Seiten derselben Medaille – nur mit einem anderen Fokus. Während im Recruitingprozess potenzielle Kandidaten (im Optimalfall) das Arbeitsangebot eines Unternehmens mit Vertrauensvorschuss annehmen, müssen in der Retentionphase die gegebenen Versprechen eingehalten werden. Ansonsten kommt es schnell zu Frust, Enttäuschung oder gar zum Abbruch des (neuen) Arbeitsverhältnisses. Die Einhaltung des Jobversprechens wiederum hat viel mit gemeinsamen Werten, letztendlich sogar mit der eigenen Job-Identität zu tun. Und die gilt es speziell im SAP-Kosmos zu verstehen.
Im SAP-Consulting kann allein das Gruppenzugehörigkeitsgefühl erheblich divergieren. Dazu zählt beispielsweise die Frage, ob sich jemand mehr der IT oder mehr dem SAP-Fach zugehörig fühlt. So sind Aussagen wie „Ich bin kein IT-Berater!“ nicht selten von Senior-SAP-Consultants zu hören, die sich auf der Prozess-Ebene bewegen. Im Gegensatz hierzu gibt es jedoch auch viele technische SAP-Consultants oder Entwickler / beratende SAP-Entwickler, die sich durchaus der IT verorten.
Beratungshaltung verstehen
Auch die Beratungshaltung, also die Art, wie Beratung praktiziert wird, teilt sich in verschiedene Lager auf. Es gibt SAP-Berater, die den Custom-Code und die Uniqueness des ERP-Systems eines Unternehmens als USP werten. Andere setzen sich maximal für den Standard ein – und gehen hierfür auch in leidenschaftliche Sparrings mit dem Anwenderkunden. Manche verstehen sich als Generalisten, wieder andere gehen völlig in der Rolle des Modulberaters auf. Auch die Frage, ob SAP-Beratung aus dem Home-Office geleistet werden kann oder die Präsenz beim Kunden zwingend erforderlich ist, greift in den Wert „Beratungshaltung“ ein. Aber diese Werte und die Einstellung zur Arbeit können sich im Laufe des Employee Lifecycle und der Lebensphase des Mitarbeitenden natürlich ändern.
Drei-Säulen-Ansatz für SAP-Consultants
Diese Veränderung spiegelt sich heuristisch im „Drei-Säulen-Ansatz für SAP-Consultants“ wider. Die Gewichtung der drei Werteebenen „Können“, „Wissen“ und „Haltung“ kann je nach Individuum, Lebensphase und Zeitpunkt im Employee Lifecycle sehr unterschiedlich ausfallen. Daher gilt es für Unternehmen, diese drei Ebenen zu verstehen und die Mitarbeitenden dazu passend und somit im Einklang mit ihren Werten einzusetzen.

Dabei sind diese Werte keinesfalls statisch. Vielmehr handelt es sich um Momentaufnahmen innerhalb dynamischer Employee Experiences. So darf beispielsweise angenommen werden, dass am Anfang einer Karriere, etwa als SAP-Junior-Berater, das Interesse an der Säule „Können“ sehr groß ist und offizielle Zertifikate einen hohen Stellenwert haben. Senior-SAP-Consultants hingegen machen häufig nach 7 bis 8 Jahren einen Sprung in der Karriere – und verspüren den Wunsch nach „Mehr Verantwortung“. Dieses Mehr an Verantwortung kann sich durch eine Teamführung ausdrücken. Oder es geht darum, selbstreferentiell an der eigenen Beratungshaltung zu arbeiten und den Methodenkoffer ordentlich zu füllen.
Neben der beruflichen Ebene können selbstverständlich auch private Rahmenbedingungen wie Elternschaft oder die Pflegebedürftigkeit naher Angehörigen die Einstellung zur Arbeit und damit die persönlichen Werte verändern. Eine zukunftsorientierte Retention-Strategie sollte daher ganz natürlich die verschiedenen Lebens- und Laufbahnphasen mitdenken.
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Was für SAP-Consultants zählt
Die für SAP-Consultants wichtigsten Anreize decken sich größtenteils mit denjenigen der IT-Branche insgesamt – dennoch gibt es einige Spezifika. Um es gleich vorwegzusagen: der größte Hebel für die Unternehmen besteht darin, die für die Lebenswirklichkeit der SAP-Consultants relevanten Benefits mit maximal konkreten Aussagen zu füllen. Hier die Auswahl der klassischen Top-Bereiche, wie sie vergleichbar auch in der aktuellen Stepstone-Umfrage Gehalt & IT im Fokus 2025 im Ergebnis zu finden waren:
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Die Gehaltsfrage
Eindeutig auf Platz 1 liegt das Gehalt. Der Bruttodurchschnitt in der IT-Branche liegt bei 62.000 Euro p.a. – und damit deutlich unter dem Durchschnittsgehalt im SAP-Kosmos mit rund 85.000 Euro p.a. (über alle Erfahrungslevel und SAP-Rollen in Deutschland gemittelt). Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist ein Gehaltsgefälle im SAP-Team innerhalb des Unternehmens – und plötzlich kommt es raus… Was tun, wenn langjährige Mitarbeitende deutlich weniger verdienen als Neuzugänge, die vielleicht sogar weniger Erfahrung mitbringen? Jeder kann sich vorstellen, dass sich in solchen Fällen selbst die treueste Seele mit dem Gedanken trägt das Unternehmen zu verlassen – weil sie sich nicht mehr wertgeschätzt fühlt. Retention heißt also auch, Gehälter von Mitarbeitenden nach oben zu korrigieren oder einen transparenten Umgang mit Gehaltsgefällen zu finden. Und nicht zuletzt auch dem Genderpaygap entgegenzusteuern, der laut Ankerkopf SAP Gehälter Report im SAP-Kosmos unbereinigt bei rund 16,6 % liegt.
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Flexible Arbeitszeiten
Wenn Unternehmen von „flexiblen Arbeitszeiten“ reden, kann sich jeder etwas anderes darunter vorstellen. Ist damit eine schmale Gleitzeit-Spanne morgens zwischen 8:00 und 8.30 Uhr sowie Kernarbeitszeit bis 15 Uhr gemeint? Oder soll die Arbeit völlig frei und im Einklang mit den SAP-Kunden geleistet werden? Schon allein diese zwei sehr unterschiedlichen Ausprägungen von „flexiblen Arbeitszeiten“ gilt es jeweils zumindest zu kommunizieren – oder noch besser: flexibel der Arbeitsrealität des SAP-Consultants anzupassen.
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Remote oder Back-to-Office
Das Gleiche gilt für den Home-Office-Anteil, der zwischen fünf Arbeitstagen pro Woche bis hin zu wenigen festen Tagen im Monat schwanken kann. Für den SAP-Consultant macht das einen erheblichen Unterschied. Ein striktes Back-to-Office für alle SAP-Consultants würde vermutlich zu einer erhöhten Kündigungsquote führen, da gerade die Flexibilität des Home-Office Freiheiten in der Care-Arbeit erlaubt und es genügend Arbeitgeber gibt, die einen hohen Remote-Anteil von mehreren Tagen in der Woche ermöglichen. Selbst wenn es andere Berufssparten im Unternehmen gibt, bei denen physische Präsenz gefragt ist, sollten das SAP-Team als eigenständige Gruppe betrachtet hier und nicht mit dem Gießkannen-Prinzip vorgegangen werden.
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Weiterbildung ist wichtig – aber welche passt zum SAP-Kosmos?
Technisch am Ball zu bleiben, nicht abgehängt zu werden – das sind durchaus Ängste, die von SAP-Consultants immer wieder formuliert werden. Ein veraltetes SAP ECC mit vielen Z-Transaktionen und einer Bedienoberfläche aus den Nuller-Jahren lässt diese Zukunftsängste nicht geringer werden. Was hier entgegenwirken kann – neben einem modernen SAP-Stack – sind beispielsweise fachlich-technische Zertifikate, die gerne auf LinkedIn geteilt werden. Einige Weiterbildungen im SAP Learning Hub sind sogar kostenfrei. Und daneben gilt es, die Softskills für SAP-Consultants zu schulen. Wie genau Kunden behandelt werden sollten, geht weit über eine PowerPoint-Präsentation hinaus und erfordert beispielsweise auch Skills für eine zeitgemäße Moderation. Die Empfehlung in puncto Weiterbildung wäre, auf stärkenorientiertes Arbeiten im Einklang mit den eigenen Werten des Mitarbeitenden zu achten. Letztendlich bedeutet Beratung nicht nur technisches und prozessuales Verstehen und Expertise. Sie erfordert vielmehr auch einen eigenen Beratungsstil, eine Haltung von sich selbst als SAP-Consultant zu erarbeiten. Auch hier kann HR als interner Business Partner spannende Impulse geben und ein gutes Sortiment an Weiterbildung offerieren.
Fazit
Ein an den Stärken und Werten der Mitarbeitenden orientiertes Arbeitsumfeld ist mehr als eine notwendige Bedingung für deren Zufriedenheit und Produktivität – sie bietet Unternehmen auch wichtige Ansatzpunkte, um den Kolleginnen und Kollegen dauerhaft Wertschätzung zu signalisieren und diese zu beidseitigem Nutzen an das Unternehmen zu binden.
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