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SAP Rollout nach Brasilien und Südamerika: Interview

Wir befragten Dieter Voigt, Geschäftsführer der Mercocon Südamerika GmbH & Co. KG, über die Herausforderungen von SAP Rollouts nach Südamerika – insbesondere nach Argentinien, Brasilien, Chile, Ecuador, Kolumbien und Peru. Welche Besonderheiten gibt es, worauf sollte man achten und wie kann man vorgehen, wenn man für Landesgesellschaften in diesen Ländern SAP-Einführungen oder SAP-Rollouts plant?

 

IT-Onlinemagazin: Herr Voigt, Brasilien wird nachgesagt, dass es wohl das komplizierteste Steuersystem der Welt habe. Welche Besonderheiten gibt es dort?

SAP Rollout Brasilien Voigt MercoconDieter Voigt: Brasilien ist tatsächlich ein Land mit einem sehr komplexen Steuerrecht. Wenn man in Europa zu der Überzeugung kommt, dass man es steuerrechtlich mit einem schwierigen System zu tun hat, dann sprengt das brasilianische Steuer- und Fiskalsystem geradezu alles „Vorstellbare“. Man muss hier lernen und akzeptieren, dass jeder logistische Vorgang mit Fiskalvorschriften einhergeht, deren Einflüsse das Tagesgeschäft in Brasilien dominieren.

 

Gibt es steuerliche Unterschiede, ob man einen Produktionsstandort in Brasilien betreibt oder nur eine Vertriebsorganisation für den brasilianischen Markt hat?

Ja, diese Unterschiede gibt es tatsächlich. Eine Produktionsfirma hat es in aller Regel immer mit zwei Steuerarten zu tun, die man ICMS und IPI nennt. Wer in Brasilien produziert, muss seine Lagerbestände am Monatsende zwingend neu bewerten. Es gilt der Grundsatz der „tatsächlichen“ Ist-Kosten. In Europa kennt man hingegen eher das Prinzip der Ist-Kosten in Form von Ist-Menge multipliziert mit einem Planstundensatz. Letzteres ist in Brasilien nachträglich durch einen „Ist“-Stundensatz zu ersetzen.

Zudem sind produzierte Erzeugnisse mit einem anderen CFOP Prozesscode in unserer elektronischen Rechnung (Nota fiscal) zu titulieren.

Viele Firmen tun sich darüber hinaus mit der Angabe des sogenannten FCI schwer. Dies ist eine Prozentangabe, die den Importanteil benennt. Dessen Berechnung und deren Nachweis ist im engeren Sinne eine Art „Kunstwerk“, den man nur in unserem Land mit vielen „jeitinhos“ (=Umwege) herleiten kann.

 

Wie bildet man die komplexen brasilianischen Steueranforderungen im SAP-System ab, und wie hält man sie aktuell?

SAP hat in den vergangen Jahren erheblich aufgeholt. Als ich vor über zehn Jahren meine ersten SAP Projekte in Brasilien getätigt hatte, war jedem Beteiligten klar, dass man das brasilianische Steuer- und Fiskalrecht durch selbst geschriebene Programme herleiten muss. Heute deckt SAP den Großteil der Anforderungen ab. Jedoch muss man zahlreiche Veränderungen durch entsprechende OSS Notes aktualisieren. Oder mit anderen Worten, man muss sein SAP System immer auf dem „Neuesten Support Package Stand“ halten.

 

Wie verhält es sich mit den anderen südamerikanischen Ländern?

Südamerika geht gerne seine eigenen Wege. Viele Länder Südamerikas erlassen gleiche oder ähnliche Gesetze im Umfeld des Fiskalsystems, die ihre Eigenheiten haben. Ein Beispiel hierfür ist die Nota fiscal. Die Übersetzung mit dem Wort „Rechnung“ ist schmeichelhaft. Es handelt sich eigentlich um einen inländischen Genehmigungsprozess, damit Waren oder Dienstleistungen ausgetauscht werden dürfen. Tatsächlich hat man bei uns in Brasilien damit begonnen. Seit letztem Jahr verlangen die Länder Chile und Peru ein ähnliches Vorgehen.

 

Welche kulturellen Unterschiede und Besonderheiten gibt es in den Ländern Südamerikas in Bezug auf die Arbeit in SAP Projekten?

Der Umgang mit den Menschen funktioniert sehr unterschiedlich. In Europa kommt es auf die Fachdiskussion an. In Südamerika auf die Persönlichkeit des Gesprächsteilnehmers. Dies beginnt mit einer sehr intensiven Begrüßung und verlangt auch das Gespräch über die Familie und deren Wohlergehen. Natürlich muss man auch die Sprache respektieren. Englisch – geschweige denn Deutsch – wird nicht gesprochen und wenn, dann darf man dies als große Ausnahme verstehen. Projekte erfordern also immer die Spanische oder Portugiesische Sprache.

 

Als Experte für SAP-Rollouts nach Brasilien haben Sie vermutlich bereits eine Menge kurioser Begebenheiten erlebt. Was fällt Ihnen ganz spontan ein?

SAP-Rollout-SuedamerikaBrasilianer haben in ihrer Geschichte vor allem eins gelernt: zu improvisieren. Dies führt mitunter zu sehr kuriosen Begebenheiten. Während es dem Deutschen um eine sehr gute Planung und um die Termintreue geht, geht es dem Brasilianer um das Gelingen. Die Frage nach dem „Wie“ ist mitunter ein wenig zweitrangig.

Bei einem Kunden war eine wichtige Besprechung über den Fortlauf des Projekts einberufen worden. Per Telefonkonferenz waren die deutsche Geschäftsleitung und die hiesige Projektleitung eingeladen. Nur der brasilianische Projektleiter war keineswegs pünktlich.

Nach mehr als einer Stunde kam er ins Büro und wunderte sich über die forsche Belehrung seiner deutschen Kollegen. Seine Worte waren nur, dass man sich doch freuen könnte, dass er es überhaupt geschafft habe. Und er fuhr fort, dass es doch klar sei, dass er im Verkehrschaos von São Paulo gar nicht pünktlich sein könne.

 

Was empfehlen Sie einem Entscheider in IT, Produktion oder im Finanzwesen, der einen SAP-Rollout nach Südamerika verantwortet?

Tatsächlich bedarf ein Rollout nach Südamerika einer besonderen Vorbereitung. Man sollte sich über die wichtigsten steuerrechtlichen Besonderheiten informieren und ein Projektteam formen, welches im Vorfeld des Projekts ein gemeinsames Verständnis über die Belange und Notwendigkeiten des jeweils anderen entwickelt.

Vor allem sollte man nicht davon ausgehen, dass ein Rollout in wenigen Wochen abgeschlossen sein könnte. Dafür sind die Herausforderungen in aller Regel zu komplex.

Von Anfang an sollte Ihr südamerikanischer Fiskalexperte im Projekt eingebunden sein. Analysieren Sie die bereits getätigten Nota fiscais im Einkauf und Verkauf. Diese verraten viel darüber, welche besonderen Prozesse und Ausnahmen Sie für Ihre Gesellschaft zur Verfügung stellen müssen. Und apropos. Diese Nota fiscais sind in Brasilien immer „elektronisch“, was deren Auswertung tatsächlich immens vereinfacht.

Até logo, wie wir in unserer Sprache sagen.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Helge Sanden, Chefredakteur des IT-Onlinemagazins.

 

Weiterführende Informationen:
Experten Workshop: SAP-Rollout Brasilien
16. April 2015 – Allianz Arena München, Lounge

Mercocon Website

 

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