Ende Januar hat SAP seine ERP-Kunden mit einer unerwarteten Ankündigung überrascht: Um den Übergang in die Cloud zu beschleunigen, setzt das Unternehmen aus Walldorf für eine begrenzte Zeit auf finanzielle Anreize. Je nach Szenario sollen die Migrationskosten um bis zu 50 Prozent reduziert werden. Bis Ende 2024 erhalten Kunden von SAP S/4HANA und SAP ECC, die sich für die RISE- oder GROW-with-SAP-Angebote entscheiden, Gutschriften, die auf Wartungskosten, Cloud-Abonnements und zusätzliche Services angerechnet werden.
Konkret bedeutet dies, dass SAP ECC- und SAP S/4HANA-On-Premise-Kunden, die in die Private Cloud wechseln, 45 Prozent bzw. 60 Prozent des durchschnittlichen jährlichen Vertragswerts erhalten. Entscheiden sie sich für den Wechsel in die Public Cloud, winken sogar satte 100 Prozent. Die Angebote sind nach oben gedeckelt, in welcher Höhe ist noch unklar.
Alexander Greb sagt in seiner Kolumne für das IT-Onlinemagazin seine Meinung, was er vom SAP-Rabatt-Angebot hält und welchen Fokus er SAP-Kunden empfiehlt.
SAP will Cloud-Migration durch Rabatte von bis zu 100 Prozent beschleunigen:
Warum die Euphorie über diese Maßnahme gedämpft ist
Die Motivation hinter diesem außergewöhnlichen Schritt ist klar: Die Umstellung der Kunden auf die Cloud ist für SAP genauso entscheidend wie der Erfolg von Elektrofahrzeugen für Automobilhersteller. Wer in der Welt der Business-Applikationen diese Transformation nicht erfolgreich bewältigt, riskiert ein Schicksal wie Nokia vor 20 Jahren.
In diesem Punkt unterscheidet sich SAP nicht von anderen Anbietern. Die spezielle Herausforderung liegt jedoch in der über fünf Jahrzehnte gewachsenen Bestandkundenbasis. SAPs Erfolgsgeschichte basiert maßgeblich im ERP-Kern, durch den die Walldorfer ihre Kunden erfolgreich an sich binden konnten. Doch nun wird diese Charakteristik zur Bürde und erschwert den Sprung in die Cloud.
Hoher Aufwand bei Umzug in die SAP Public Cloud
Insbesondere im Falle der Public Cloud als Zielsystem erweist es sich als großer Aufwand von diesem Legacy ERP-Kern zu trennen. Dies betrifft nicht nur finanzielle und projekttechnische Aspekte, sondern auch kulturelle. Denn der technisch notwendige Neuanfang zwingt Unternehmen dazu, liebgewonnene oft hoch-individualisierte Legacy-Prozesse aufzugeben und einen neuen, standardisierten Fit-to-Standard Ansatz zu akzeptieren. Dieser mag in den meisten Fällen tatsächlich besser sein, hat aber gegen gewohnte Prozesse bei Anwendern naturgemäß einen schweren Stand.
Die Entscheidung von SAP, hier mit großzügigen Rabatten nachzuhelfen, mag zunächst schlüssig erscheinen. Doch spätestens bei der ersten Beschwerde eines Kunden, der im vierten Quartal 2023 einen Cloud-ERP-Vertrag abgeschlossen hat und bei den Rabatten leer ausging, dürfte die Zweifelhaftigkeit offensichtlich werden.
Hohe SAP-Rabatte: Fluch oder Segen?
Es ist nämlich immer die bessere Wahl, vertrieblich mit Cash-Flow Potenzial zu argumentieren, das in diesem Fall durch die innovativen Cloud-Capabilities und dadurch ermöglichte neue Geschäftsmodelle gewonnen wird. Hohe Rabatte hingegen schaden oftmals den Markenwert des Produktes: Kunden fragen sich zu Recht, warum etwas fast kostenlos erhältlich ist, was in der Vergangenheit und sicherlich auch in der Zukunft nicht für umsonst zu haben sein wird.
Zeitlich begrenzte Rabatte verhalten sich des Weiteren oft wie der Besen aus Disneys „Der Zauberlehrling“: Die helfenden Rabattgespenster, die man rief, wird man nicht mehr los und verursachen im Endeffekt für den Anbieter mehr Schaden als Nutzen. Es gibt genügend Beispiele aus verschiedenen Branchen, die zeigen, dass die Umsätze nach dem Ende zeitlich begrenzter Rabattaktionen nur selten das alte Niveau wieder erreichen.
Mehrwert- statt Rabatt-Diskussion
Des Weiteren sind die Auswirkungen auf das Transformationsnarrativ definitiv nachteilig. Die Rabatte dominieren nun die Überschriften und Gespräche zwischen Kunden, Anbieter und Implementierungspartnern. Mehrwertuntersuchungen drohen in den in den Hintergrund zu rücken, da vielerorts wieder Total-Cost-of-Ownership-Business Cases diskutiert werden und die Gespräche auf der IT-Ebene stattfindet, anstatt auf einer Business-Strategischen Ebene.
Und tatsächlich, jedes Mal, wenn SAP in der Vergangenheit versucht hat, die oft mühsamen, aber lohnenden Diskussionen über Mehrwerte vertrieblich abzukürzen, sei es durch Lean-Migrationen oder Lift-and-Shift-Kampagnen, hat sich nur eine kurzfristige Verbesserung eingestellt, die jedoch einen hohen Preis hatte:
Viele Unternehmen, die sich für Lean-Migrationen entschieden haben, arbeiten nun weiterhin mit ihren alten ECC-Prozessen und Oberflächen in der SAP S/4HANA weiter und konnten durch die Migration kaum Business-Mehrwerte erzielen. Diejenigen, die sich für einen Lift-and-Shift entschieden haben, haben nur ein Betriebsmodell durch ein anderes ersetzt. Neue, innovative Möglichkeiten bleiben auch hier aus.
SAP Case-for-Cloud erarbeiten
Um den Move in die Cloud unserer Kunden sinnvoll zu beschleunigen, sollte sich das SAP-Ecosystem deshalb vor allem auf zwei Themen konzentrieren, anstatt Rabatte in den Mittelpunkt der Gespräche zu stellen:
Erstens: SAP und sein Ökosystem waren dann immer am besten, wenn sie sich als aktive Problemlöser für ihre Kunden verstanden haben. Es ist an der Zeit, wieder „die Ärmel hochzukrempeln“ und sich nicht länger nur in der vertrauten Umgebung der Kunden-IT zu bewegen, sondern sich auch in den Fachbereichen zu engagieren.
Hierbei ist entscheidend, sich aktiv mit der individuellen Situation des Kunden, seiner Strategie, seinen Herausforderungen und den Bedürfnissen seiner Endkunden auseinanderzusetzen, um das Potenzial für Cash-Flow zu identifizieren – und somit den überzeugendsten Case-for-Cloud zu präsentieren.
Möglichkeiten der SAP Public Cloud erneut bewerten!
Und zweitens: Einer der Gründe, warum die SAP Public Cloud einen langsamen Start hatte, war die mangelnde Möglichkeit, den Prozess-Standard überzeugend darzustellen. Dies führte dazu, dass die Public Cloud als Option kundenseitig schnell ausgeschlossen wurde. Doch diese Situation hat sich geändert. Durch die Kombination von SAP Signavio und LeanIX ist es jetzt nicht nur möglich, den Prozess-Standard transparent darzustellen, sondern auch den Weg von der individuellen Kundensituation und -strategie über die dafür benötigten Fähigkeiten zur Cloud Zielarchitektur anschaulich zu visualisieren.
Dies wiederum schafft bei den Anwendern die Bereitschaft, sich auf den Cloud-Standard einzulassen und die innovativen Fähigkeiten des SAP-Cloud-Portfolios zu nutzen.
Fazit: Problemlösungskultur erforderlich
Abschließend sei erwähnt, dass zufälligerweise zeitgleich mit der Ankündigung der Rabatte Microsoft CEO Satya Nadella sein zehnjähriges Amtsjubiläum feierte. Nadella hat sein Unternehmen erfolgreich in eine Cloud-Company transformiert, indem er die Sales-Kultur seines Vorgängers Steve Ballmer zurückgefahren und eine problemlösungsorientierte Engineering-Kultur eingeführt hat.
Dies führte nicht nur zu erheblichen Vorteilen für die Kunden von Microsoft, sondern auch zu einer Wertsteigerung des Unternehmens um 1000 Prozent. Sicherlich keine schlechte Idee, von diesem Vorbild zu lernen.
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