Welche Auswirkungen hat die Wartungsverlängerung für die SAP Business Suite auf die S/4HANA-Umstellungen in den Anwenderunternehmen? Im Februar verkündete SAP die Wartungsverlängerung für die Standardwartung der SAP Business Suite 7 bis 2027, beziehungsweise bis 2030, sofern man höhere Wartungsgebühren zahlt.
Von Steffen Pietsch, DSAG-Vorstand Technologie, wollte ich wissen, was die Wartungsverlängerung für Kunden und SAP-Partner bedeutet.
Herr Pietsch, wie groß ist die Gefahr, dass SAP-Anwenderunternehmen sich jetzt zurücklehnen und den S/4HANA-Umstieg angesichts der Wartungsverlängerung auf die lange Bank schieben?
Steffen Pietsch: Zuerst einmal begrüßen wir die Entscheidung zur Wartungsverlängerung ausdrücklich, denn sie schafft den notwendigen Rahmen, damit SAP-Kunden sich mit den eigentlichen Inhalten und notwendigen Veränderungen zur digitalen Transformation befassen können. Gleichzeitig birgt sie eine gewisse Gefahr, die gewonnene Zeit für andere dringende Themen zu nutzen.
Wir empfehlen unseren Mitgliedern ausdrücklich, den Fokus zu behalten und die notwendigen Projekte, die im Zusammenhang mit einer S/4HANA-Transformation stehen, jetzt zu initiieren oder mit gleicher Priorität fortzusetzen.
SAP empfiehlt, vor dem S/4HANA-Umstieg die Geschäftsprozesse zu standardisieren und die IT-Landschaft zu harmonisieren. Was steckt dahinter und wie kommt die Message bei den SAP-Kunden an?
Um Wettbewerbsdruck und Digitalisierungsanforderungen standzuhalten, ist es erforderlich, dass Unternehmen Prozesse und Systeme schnell an Marktgegebenheiten anpassen können. Je standardisierter Prozesse und Systeme implementiert sind, desto einfacher und flexibler können diese angepasst werden.
Ein hoher Modifikations- und Individualisierungsgrad, wie er in jahrelang gewachsenen IT-Landschaften häufig gegeben ist, steht dieser Anforderung entgegen. Ein S/4HANA-Transformationsvorhaben bietet hierzu die Chance, um prozessuale und technische Schulden abzubauen, und das eigentliche Potenzial von S/4HANA zu heben. Umso wichtiger ist es, dass durch die Wartungsverlängerung die richtigen Akzente gesetzt wurden und SAP-Kunden nun die dafür notwendige Zeit haben.
Wie kann man vorbereitend die Komplexität in den Daten, Prozessen und IT-Landschaften reduzieren?
Es ist hilfreich, wenn notwendige Aufräumarbeiten, beispielsweise Stammdatenbereinigungen, bereits im Vorfeld des eigentlichen Migrationsprojekts durchgeführt werden. Dies minimiert das Risiko und senkt die Komplexität.
Darüber hinaus empfehlen wir einen Abgleich der unternehmenseigenen Prozesse mit den SAP-Best-Practice-Prozessen. Im Hinblick auf das Enterprise-Architecture-Management raten wir, eine Cloud- und eine Integrationsstrategie zu formulieren, um Transformationsprojekten die notwendigen Leitplanken mitzugeben.
Nach unseren Beobachtungen planen rund ein Drittel der Unternehmen die rein technische Migration (lift-and-shift / Brownfield). Verpassen diese Unternehmen nicht die Chance einer grundlegenden Neuausrichtung in den Fachabteilungen und der IT, die auch zu Lasten der zukünftigen Innovationskraft geht?
Wenn die vorhandene Implementierung die Geschäftsanforderungen bereits gut unterstützt und der Anpassungs-/Modifikationsgrad gering ist, stellt der Brownfield-Ansatz eine gute Option dar, um getätigte Investitionen zu schützen und durch die Migration die technischen Voraussetzungen zur Nutzung künftiger Innovationen zu schaffen.
Je nach Veränderungsdruck des Unternehmens kann es jedoch erforderlich sein, Prozesse zu hinterfragen und nicht 1:1 in die Zukunft zu projizieren. Wenn prozessuale Defizite vorliegen und Anforderungen nicht abbildbar sind, empfehle ich zu prüfen, inwieweit eine (partielle) Neuimplementierung der nachhaltigere Schritt ist.
Glauben Sie, dass die nun gewonnene Zeit einen Anlass gibt, die geplante Migrationsstrategie noch einmal zu überdenken?
Ich gehe davon aus, dass mehr Zeit allein nicht ausschlaggebend ist, um einen bereits eingeschlagenen Weg grundlegend zu verändern. Sollten sich im Rahmen des Projekts jedoch Herausforderungen ergeben, die das Vorgehensmodell in Frage stellen, bietet das erweiterte Wartungsfenster mehr Flexibilität und den erforderlichen Handlungsrahmen.
Welche Auswirkungen der Wartungsverlängerung erwarten Sie bei den SAP-Partnern?
Im Hinblick auf die Partner sehe ich die Ankündigung zweigeteilt. Einerseits bricht einigen SAP-Partnern, die ihre Vertriebsstrategie vor allem auf das Enddatum 2025 und den daraus entstehenden Zeitdruck abgestimmt haben, die kurzfristige Argumentation weg. Andererseits ist der Bedarf an Beratung und Dienstleistung deutlich größer als die im Markt derzeit vorhandene Kapazität.
Insofern gehe ich nicht davon aus, dass es zu Auslastungsproblemen kommt, sondern dass SAP-Beratungspartner weiter deutlich Kapazitäten aufbauen werden – und dies ist dringend erforderlich.
Möchten Sie IT-Verantwortlichen eine Empfehlung geben?
Ein S/4HANA-Transformationsprojekt ist eine große Chance, um aufzuräumen und das Unternehmen IT-seitig fit für die Zukunft zu machen. Gleichzeitig handelt es sich um eine massive Investition, die gerade in Zeiten einer sich eintrübenden Wirtschaft umso mehr auf den Prüfstand gestellt werden muss.
Die Notwendigkeit, den Business-Case darzustellen, bleibt eine zentrale Aufgabe und ist für viele Unternehmen nicht trivial. Darüber hinaus empfehle ich, Zeit und Kraft in das Stakeholder-Management zu investieren, um eine breite Unterstützung im Unternehmen für das (mehrjährige) Transformationsvorhaben zu bekommen beziehungsweise zu behalten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Helge Sanden, Chefredakteur des IT-Onlinemagazins, im Nachgang der DSAG-Technologietage 2020.