Empörung über SAP’s AI- und Sustainability-Strategie: Sturm im Wasserglas?

Der Cloud-only-Kurs von SAP und seine Konsequenzen für den Einsatz von größeren Innovationen wie Künstlicher Intelligenz (KI oder AI) hat für teils hitzige Debatten bei SAP-Kunden gesorgt. Diskussionen dieser Art gab es im SAP-Ecosystem schon in der Vergangenheit, meint Alexander Greb von Westernacher in seiner Kolumne für das IT-Onlinemagazin: 

 

Alexander Greb

Die kürzliche Ankündigung von SAP, neue Innovationen, insbesondere im Bereich Künstliche Intelligenz und Sustainability, exklusiv für Cloud-ERP-Kunden bzw. Kunden der GROW- und RISE-Offerings verfügbar zu machen, hat für einiges Aufsehen gesorgt.

Analysten und Anwendergruppen ließen nicht lange mit Stellungnahmen auf sich warten und äußerten sich kritisch: SAP würde Kunden der On-Premise-Variante im Stich lassen und Cloud-Kunden unfair bevorzugen. Dies führte dazu, dass dieses Thema in den Herbst-Monaten zahlreiche Veranstaltungen dominierte, unter anderem auch die Jahresversammlung der Anwenderinteressenvertretung DSAG. Warf man einen Blick in einschlägige Medien, las man in Großbuchstaben „SAP testet die Grenzen der Kundengeduld“ und ähnliche Überschriften.

 

Ein Sturm im Wasserglas?

Diskussionen dieser Art sind im SAP-Ecosystem in der Vergangenheit nichts Unübliches gewesen, wenngleich man dieses Mal das Gefühl hatte, dass der Aufschrei schon sehr laut war, stand doch ein Hype-Thema wie AI im Mittelpunkt. Und bei AI wollte in diesem Herbst wirklich jeder vorne dabei sein.

Die zentrale Frage, die sich in solchen Situationen stellt, ist: Sind die negativen Reaktionen seitens der Kunden und Interessensverbände gerechtfertigt? Oder fielen die Reaktionen zu emotional aus?

Als jemand, der seit 2015 die Entwicklung und Adoption von SAP S/4HANA in seinen unterschiedlichen Varianten begleitet und beobachtet, sehe ich die Diskussion ehrlich gesagt entspannter und empfinde sie als eine Mischung aus einer etwas unglücklichen Kommunikation seitens SAP und einem falschen Fokus vieler Anwender. Es gibt nämlich zwei übersehene Aspekte, die die Situation in einem anderen Licht erscheinen lassen:

 

Warum AI und Sustainability nur in der Cloud?

Es gibt einen sehr einfachen Grund für AI und Sustainability „Cloud-only“, und das ist die technische Voraussetzung. Artificial Intelligence benötigt die Cloud, um für eine breite Masse von SAP-Kunden anwendbar zu sein. Auch wenn es Szenarien gibt, diese Technologien in lokalen oder Edge-Szenarien einzusetzen, so sind diese für das Gros der SAP-Kunden aus wirtschaftlichen Gründen nicht realistisch. Vielmehr ist gerade die Skalierbarkeit, Rechenpower und Flexibilität der Cloud das große Plus, während lokale Szenarien gerade im AI-Bereich die Nachteile von On-Premise-Deployments potenzieren würden. Bezüglich Sustainability ist die Kollaborationsfähigkeit der Cloud das zentrale und unüberwindbare Argument – isoliert in On-Premise-Deployments wären diese Anwendungen zahnlose Tiger.

 

Warum hinkt die Innovationsgeschwindigkeit bei On-Prem Kunden oft zurück?

Es gibt noch ein weiteres Argument, welches den Fokus auf einen gerne übersehenen Aspekt lenkt: On-Premise-Anwender sind in vielen Fällen noch ein gutes Stück davon entfernt, End-to-End AI-Szenarien zielführend einzusetzen. Diese Sichtweise fußt auf der Tatsache, dass ein erheblicher Teil von On-Premise-Anwendern über Brownfield-Migrationen von Alt-ECC-Systemen auf SAP S/4HANA umgestiegen ist. Bei diesen Migrationen wurden die Systeme oftmals lediglich technisch migriert, und alte Legacy-Prozesse und Arbeitsweisen wurden von der alten in die neue Welt unverändert übernommen – so unverändert, dass in den meisten Fällen selbst Fiori nicht verwendet, sondern mit den alten SAP-GUIs weitergearbeitet wird. So werden nach diesen Lean-Migrationen selbst die in On-Prem-Versionen verfügbaren innovativen Capabilities von SAP S/4HANA nicht implementiert.

Wer State-of-the-Art AI-Capabilities fordert, muss also auch in den Spiegel schauen und beginnen, seine Prozesse zu modernisieren und die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, AI nicht nur für sich nutzbar zu machen, sondern sie in einer Art zu nutzen, die nachhaltig Mehrwert bringt. AI hingegen auf Legacy-Prozesse überzustülpen, welche der aktuellen Unternehmensstrategie oft um Jahre hinterherhinken, bringt keinen langfristigen Mehrwert.

 

Ist die Empörung angesichts dieser Überlegungen gerechtfertigt?

Nicht wirklich, vielmehr sollte man die sich immer weiter öffnende Schere zwischen existierender Innovation und tatsächlicher Nutzung zum Anlass nehmen, Überlegungen anzustellen, wie man Technologie schneller implementierbar machen und die Innovationsgeschwindigkeit von Unternehmen beschleunigen kann.

Dies würde eine Menge Ansatzpunkte für sachliche Gespräche zwischen SAP, Anwendern und SAP-Partnern liefern, welche in nachhaltigen Mehrwerten für Nutzer resultieren werden.

 

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