Interview: Agiles Projektmanagement für SAP-Projekte?!

Interview mit Prof. Dr. Komus, Professor für Organisation und Wirtschaftsinformatik an der HS Koblenz, über die Nutzung agiler Projektmanagement-Methoden in SAP-Projekten.

In der Software-Produktentwicklung und in IT-Projekten kommen mittlerweile bereits häufig agile Projektmanagement Methoden zum Einsatz. Eignet sich dieses Vorgehensmodell auch für SAP-Projekte? Wo liegen Chancen – gibt es Grenzen? Welche Erfahrungen haben andere Unternehmen gemacht? Ein Experte kommt zu Wort:

IT-Onlinemagazin: Herr Prof. Dr. Komus, wie hoch schätzen Sie den Verbreitungsgrad agiler PM-Methoden in SAP-Projekten?

IT-Onlinemagazin Prof.Dr. Komus ©N. BothurIn SAP-Projekten? Ich befürchte, da sind wir noch ziemlich am Anfang. Bisher kenne ich nur vereinzelte Projekte, die maßgeblich mit Hilfe agiler Methoden gemanagt werden. Oft finden sich noch die klassischen Methoden dominiert von Projektstrukturplan und Gantt-Diagramm.

Das Verrückte ist: In vielen Projekten glaubt man selber nicht an die Methoden, nutzt Sie aber trotzdem weiter. Dabei zeigt die Software-Entwicklung wie es gehen kann. Dort sind agile Methoden, insbesondere Scrum und Kanban inzwischen Gang und Gäbe – und die Anwender sind sehr zufrieden.

Das ist nicht nur meine persönliche Erfahrung aus vielen verschiedenen Unternehmen; es ist auch das Ergebnis unserer Studie mit über 300 Unternehmen „Status Quo Agile“. Die Zufriedenheit mit agilen Methoden hat unsere Erwartungen weit übertroffen.

 

Welche Beobachtungen und Erfahrungswerte haben Sie in SAP-Projekten bisher gesammelt?

Die wirklich großen SAP-Projekte ohne agile Methoden leiden oft unter ähnlichen Problemen wie andere Großprojekte; ich sage nur Berlin-Brandenburg, Elb-Philarmonie etc. Dort finden wir die gleichen problematischen Symptome ungeeigneter Projektmanagement-Methoden: Fehlende Transparenz, geschönte Status-Meldungen, Studenten-Syndrom – Probleme werden also bis zum Schluss aufgeschoben-, fehlendes Teamgefühl, ungleiche Auslastung und Belastung der Projektteam-Mitglieder etc.

Alles Bereiche, in den agile Methoden wirklich gute Ansätze liefern. Natürlich sind dann nicht alle Probleme mit einem Fingerschnippen gelöst, aber es gibt deutliche Verbesserungen: Projektmitarbeiter übernehmen „Ownership“, Dinge werden nicht mehr unter den Teppich gekehrt, die Transparenz verbessert sich – oftmals mit erstaunlich einfachen Mitteln. Das durfte ich inzwischen mehrfach beobachten, nicht nur im SAP-Bereich, auch im Prozessmanagement und in der Entwicklung von Produkten. Auch der IT- und der SAP-Betrieb sind geeignete Felder.

Übrigens geben agile Methoden auch bei kleineren und mittleren SAP-Projekten eine wichtige Hilfe. Hier sehe in der Praxis oft, dass man die Themen und Projekte in vielen Unternehmen inzwischen zwar prinzipiell im Griff hat, aber die Organisation ist permanent gestresst. Einzelne Mitarbeiter sind die Schlüsselpersonen, auf die immer wieder zugegriffen wird. Das Jonglieren mit zu vielen Bällen führt zu Zusagen, die nicht eingehalten werden können, dem Gefühl des immer Hinterherlaufens, Frustration und Burn-Out bei Mitarbeitern.

Gerade hier bieten agile Methoden eine gute Alternative. Es kommt „Ruhe in das Schiff“. Das Vertrauen in die Pläne verbessert sich – im IT-/SAP-Bereich genauso wie bei den Kunden.

 

SAP-Projektteams sind vergleichsweise groß und zum Teil weltweit verteilt. Passen diese Rahmenbedingungen mit agilen Ansätzen zusammen?

Agile Methoden leben von der direkten und offenen Kommunikation. Das wird durch große Projekte, verschiedene Zeitzonen, Kulturen, Sprachen natürlich erschwert. Jetzt könnte man argumentieren, aha – dann funktioniert das dort also nicht.

Aber anders herum wird ein Schuh daraus. Beispielsweise zwingt Scrum das Team mit einfachsten Mitteln zum Austausch. Die Methode fordert Kommunikation, enge Abstimmung, intensiven Austausch ein. Das ist zwar in verteilten Projekten mühsamer, aber es ist trotzdem notwendig und agile Methoden können zeigen, wie es geht.

 

Gibt es Grenzen? Bei welchen Projekttypen sollte man lieber mit herkömmlichen Methoden planen und steuern oder Mischformen einsetzen?

Ich bin kein bedingungsloser Enthusiast, wenn es um agiler Methoden geht. Es gibt Bereiche, in denen die klassischen Organisations- und Projektmanagementmethoden nach wie vor die Methoden der Wahl sind: beispielsweise bei sehr einfachen Projekten, die vom zeitlichen Horizont kurz, vom Ergebnis her wirklich eindeutig verstanden sind … da stellt sich dann natürlich auch schon wieder die Frage, inwieweit wir hier noch von Projekten sprechen sollten.

Ansonsten stelle ich fest, dass in der Mehrzahl der Fälle jedes Unternehmen, jede Organisation ihren eigenen Weg finden muss. Und das ist im Ergebnis oft eine Mischung zwischen klassischen und agilen Methoden. Das ist übrigens auch ein weiteres Ergebnis unserer Studie Status Quo Agile: Mischformen und der selektive Einsatz klassischer Methoden neben agilen Methoden sind die Regel und nicht die Ausnahme.

 

Warum sollten SAP-Projektleiter jetzt den Einsatz agiler Methoden in Erwägung ziehen?

Ich denke, an vielen Stellen habe ich die Potenziale agiler Methoden im SAP-Betrieb und im SAP-Projekt ja schon beschrieben, so dass es naheliegt, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Ansonsten bin ich mir sicher, dass das Thema gekommen ist, um zu bleiben. Die bestehenden klassischen Methoden sind in ihren Resultaten zu unbefriedigend. Die Ergebnisse agiler Methoden zu überzeugend.

Wir werden mittelfristig eine ähnliche Verbreitung agiler Methoden in Bereichen wie SAP-Projektmanagement, SAP-Betrieb, Geschäftsprozessmanagement und vielen anderen Bereichen sehen, wie schon heute in der Software-Entwicklung. Dort sind praktisch alle namhaften Unternehmen, seien es SAP, Microsoft oder wer auch immer, auf agile Methoden umgeschwenkt. Auch die großen Projektmanagement-Organisationen haben das Thema übrigens schon erkannt und versuchen, die Inhalte zu berücksichtigen.

Zurzeit merke ich: Überall kommen Menschen auf mich zu und diskutieren agile Methoden nicht nur in der Software-Entwicklung.

Allerdings glaube ich auch nicht, dass klassische Methodenelemente vollständig verschwinden werden. Langfristig wird sich vieles kombinieren und Unternehmen müssen ihre eigenen Wege finden. Wir reden hier auch über die Kultur der Zusammenarbeit.

 

Sie veranstalten Workshops zu diesem Thema, wen sprechen Sie damit an und was kann man dort lernen?

Wir bieten derzeit spezielle Ein-Tages-Workshops für Mitarbeiter aus den Bereichen IT-, Prozess- und SAP-Management an. In diesen Workshops gebe ich einen Überblick über die Idee, die Vorteile und die grundlegenden Methodenelemente von Scrum und Kanban. Außerdem zeige ich Beispiele für den Einsatz von Kanban oder  Scrum im SAP-Projektmanagement, im Prozessmanagement und in der Entwicklung mechanischer Produkte.

Nach dem Workshop haben die Teilnehmer ein Grundverständnis agiler Methoden und können für Ihren Bereich reflektieren, welche Ideen direkt übernommen werden sollten, aber vor allem auch, wie sich die Organisation dem Thema sinnvoll weiter annähert.

Schließlich – und das ist meines Erachtens das Schöne an den agilen Methoden – das Ganze ist kein Hexenwerk und wenn nicht unmittelbar ein Nutzen erkennbar ist, läuft etwas falsch.

 

Vielen Dank für das Gespräch. Die Fragen stellte Helge Sanden.

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