
Dr. Philipp Herzig ist in seiner heutigen Doppelrolle der prägende Kopf der technologischen Entwicklung bei SAP. Gestartet als Werkstudent bei SAP Research übernahm Herzig nach Stationen als Software-Ingenieur, -Architekt und Projektmanager bei SAP schon früh leitende Aufgaben in der Entwicklung. Sein Fokus lag dabei auf Cloud-Architekturen und Ende-zu-Ende-Szenarien. Dort fungierte er früh als Brückenbauer zwischen Technologie und dem Business. Als Head of Cross-Product Engineering & Experience gestaltete er maßgeblich die Produktintegration.
Anfang 2024 übernahm er dann als Chief Artificial Intelligence Officer (CAIO) die Verantwortung für die globale Geschäftseinheit Business AI und seit 2025 ist er zusätzlich CTO und Mitglied des erweiterten Vorstands der SAP, in dem er die technologische Gesamtstrategie von SAP verantwortet. Sein Schwerpunkt liegt auf der tiefen Integration von AI in die Standardprodukte der SAP. Im Gespräch mit Michael Fuchs (Senior Analyst, IT-Onlinemagazin) erläutert Herzig seine neue Doppelrolle, zieht eine Bilanz seiner ersten sechs Monate – und benennt seine Ziele für die nahe Zukunft.
„AI ist die alles bestimmende disruptive Technologie“
Michael Fuchs: Philipp, herzlich willkommen beim IT-Onlinemagazin. Gleich zu Beginn die klärende Frage: Was genau sind Deine Aufgaben in der Doppelrolle als Chief AI Officer und CTO bei SAP?
Philipp Herzig: KI ist natürlich aktuell die allseits bestimmende disruptive Technologie. Bei SAP liegt hier das Hauptaugenmerk in allererster Linie darauf, wie man KI sinn- und nutzenstiftend in den Unternehmen zur Anwendung bringt. Und zu überlegen: Was sind neue Anwendungsszenarien, die vorher nicht möglich waren? Und letztendlich geht es auch darum, darunter auch die entsprechende Technologieplattform zu bauen, die das ermöglicht.
Das Wichtige, wie wir es bei SAP sehen, ist also beides: Die Rolle als Chief AI Officer bedeutet, sich die Technologie anzuschauen und sich gleichzeitig ganzheitlich um das Business zu kümmern. Sprich: Technologie nicht nur zu bauen, sondern für unsere Produkte betriebswirtschaftliche Einsatzszenarien zu identifizieren, zu entwickeln, zu vermarkten, zu verkaufen und zur Anwendung zu bringen – und das alles mit dem klaren Ziel, Produkte und Services zu bauen, die bei den Kunden ankommen und für ihre Unternehmen klare und nachvollziehbare Wertbeiträge liefern.
„70 Prozent sind KI, 30 Prozent klassische Technologien wie Cloud oder Datenverarbeitung“
Die CTO-Rolle ist eine spannende weitere Ebene. Ich würde sagen, 70 Prozent davon sind trotzdem KI, weil sie sich in alle Bereiche hineinzieht. In unserem CTO-Bereich ist auch das Research- und Innovationsmandat verankert. Dort schauen wir, wie sich Software in den nächsten fünf Jahren entwickelt – und, Überraschung, auch dort steckt viel KI drin. Wir beschäftigen uns mit Themen wie humanoiden Robotern oder auch Quantencomputing. Gerade beim Quantencomputing haben wir aktuell mit der TU München ein Forschungspapier publiziert. Oft wird das Thema im Security-Umfeld verortet, aber der Anteil an maschinellem Lernen und KI steigt – und den kann man mit Quantencomputern sehr gut adressieren.
Und dann geht es ganz zentral um Daten: Datenharmonisierung, synthetische Datengenerierung, Datenzugriffsmöglichkeiten – immer mit dem Blick darauf, was das im Kontext KI bedeutet. Wie kann man bessere Modelle trainieren oder kontextualisieren? Wir schauen uns weitere Technologien an, die aber trotzdem sehr stark mit KI assoziiert sind. Die restlichen 30 Prozent betreffen klassische Technologie-Themen wie Cloud Computing, Datenverarbeitung und neue Rechenparadigmen.
Michael Fuchs: Klingt nach viel Arbeit und Verantwortung, da kommt keine Langeweile auf…
Philipp Herzig (lacht): Mit Sicherheit nicht.
„Als SAP CTO gilt es, KI als disruptives Thema mit der Architektur zusammenzubringen“
Michael Fuchs: Neben den inhaltlichen Aufgaben interessiert mich aber natürlich auch die Person Philipp Herzig. Du bist Anfang des Jahres in diese Doppelrolle gestartet. Früher hatte man 100 Tage Welpenschutz, um sich zu orientieren. Wie war das denn bei dir, gibt es sowas heutzutage noch?
Philipp Herzig: Der Übergang war eigentlich gar nicht so groß. Vielleicht etwas salopp formuliert: Es hat sich ein bisschen wie Geburtstag angefühlt – man ist ein Jahr älter, ansonsten hat sich wenig geändert. Der Grund ist: Viele der Aufgaben im CTO-Bereich habe ich vorher auch schon mitgestaltet, sozusagen als reiner „AI-Guy“. Michael, erinnerst du dich noch an die Integrationsbemühungen 2020–2023? Identity Management harmonisieren, Stammdaten konsolidieren, Datenintegration vorantreiben, ein einheitliches Security-Konzept entwickeln, Benutzeroberfläche vereinheitlichen – Stichwort Fiori Horizon, wo mobile Apps und Web-Apps einheitlich aussehen.
Das war eine wertvolle Ausbildung, weil mir dadurch alle Stacks vertraut sind. Deshalb fiel das Onboarding relativ kurz aus. Jetzt heißt es in der CTO-Rolle, KI als disruptives Thema mit der Architektur zusammenzubringen. Ich spreche immer mehr von einer sogenannten „KI-nativen Architektur“, weil KI sich über den gesamten Stack hinweg ausbreitet – von ganz unten bis zur Benutzeroberfläche. Eine Aufgabe im CTO-Bereich ist daher auch, unsere „North Star“-Architektur zu definieren: Wo soll unsere Softwarearchitektur in fünf Jahren stehen, angesichts der Disruption durch KI? Das ist die Blaupause, die wir aktuell erarbeiten.
„Unser Job ist es, Technologie für die Kunden verschwinden zu lassen“
Michael Fuchs: Was sind denn, wenn du auf die letzten sechs Monate zurückblickst, die Hauptherausforderungen gewesen? Mit dem Markt, SAP intern, Technologie, Wettbewerber – womit hast du am meisten gekämpft?
Philipp Herzig: Zunächst einmal die massive Geschwindigkeit, die wir im Umfeld sehen. Es geht darum, aufmerksam zu sein und zu antizipieren, wie sich Architektur und Software verändern – nicht nur wegen KI, sondern entlang des gesamten Stacks. Das bleibt die größte Herausforderung.
Die zweite war, zu definieren, welche Themen uns in Zukunft erwarten. Anfang des Jahres haben wir intensiv analysiert: Was passiert in Research und Innovation? Was sehen wir im Silicon Valley, bei Venture Capital Firmen, Banken, in der Forschung von Stanford bis Singapur? Wo entstehen neue Ideen, was sind neue wichtige Forschungsergebnisse? Hier haben wir schon wichtige Kernthemen identifiziert.
Michael Fuchs: Und dies natürlich alles mit einer nie dagewesenen Geschwindigkeit, wie du es gerade angesprochen hast.
Philipp Herzig: Genau. Gleichzeitig müssen wir herausfinden, welche dieser Technologien wirklich passen und wie wir sie so in unsere Produkte einbauen können, dass unsere Kunden sie für ihre Geschäftsprozesse und betriebswirtschaftlichen Anwendungen nutzen können. SAP ist immer auch die „Unusual Tech Company“: Am Ende des Tages ist es unser Job, die Technologie verschwinden zu lassen – unsere Kunden sollen nur den Nutzen sehen.
„Wir wollen zeigen, dass AI echten Mehrwert in die Unternehmen bringt“
Michael Fuchs: Wenn du jetzt nach vorne schaust – was willst du persönlich bis Ende des Jahres erreicht haben?
Philipp Herzig: Das lässt sich in drei Punkten zusammenfassen.
Zum ersten die Kunden. Für uns geht es immer darum, KI in die Unternehmensrealität zu bringen. Raus aus dem Proof-of-Concept-Modus, raus aus einzelnen Fachabteilungen, rein in den breiten Einsatz bei Unternehmen. Wir wollen weiter zeigen, dass KI nicht nur ein Buzzword ist, sondern echten Mehrwert in Unternehmen bringt.
Zweitens KI. Zum Beispiel SAP Joule als echter AI-Copilot. Wir bauen gerade 40 Joule-Agents, fast die Hälfte davon haben wir bereits geliefert, weitere folgen im zweiten Halbjahr. Wichtig ist, dass sie anpassbar und erweiterbar sind, auch für Kunden. Ziel ist die Vision, von überall aus – ob vom Smartphone, von Systemen von Drittanbietern wie Microsoft Teams oder von SAP-Webanwendungen – vollständig auf Workflows, Informationen und Analysen zugreifen zu können.
Und zu guter Letzt, Forschung. Unser Ziel ist es, uns als SAP mit unseren Leistungen als Thought Leader für die Anwendung neuen Technologien zu positionieren. Mittlerweile tragen wir mit Forschungspapieren für hochrangige Konferenzen bei. Die Investitionen von vor zwei Jahren tragen nun Früchte.
Michael Fuchs: Philipp, das war spannend. Vielen Dank für diese persönlichen Einblicke, ich freue mich auf eine Fortsetzung unseres Gesprächs und wünsche Dir weiterhin so viel Erfolg!
Weiterführende Informationen:
In unserer Reihe „Karrieren rund um SAP“ beleuchten wir die berufliche Entwicklung führender Köpfe aus dem SAP Kosmos. Lesen Sie hier, welche beruflichen Stationen Thomas Pfiester (Head of Global Customer Engagement & Services bei SAP) auf seinem Karriereweg besonders geprägt haben. Zum Interview