
SAP befindet sich mitten in einer strategischen Neuausrichtung: Cloud, Clean Core, Business Technology Platform (BTP) und künstliche Intelligenz bestimmen die Agenda. Mit dem Umbruch stellt sich auch die Frage: Wie geht es mit der bisher hohen Branchenkompetenz von SAP weiter, welche Rolle können hier künftig die SAP-Partner spielen – und werden das noch dieselben Partner sein, wie heute? Sven Denecken hat viele Jahre bei SAP die Branchenlösungen verantwortet. Im Gespräch mit Maike Rose (IT-Onlinemagazin) analysiert der SAP-Experte, wie es mit den SAP-Branchenlösungen weitergeht, welche Möglichkeiten sich für die SAP-Partner ergeben und wie der Partner-Markt zukünftig aussehen könnte.
„Partner müssen Standardprozesse, Branchenspezifika und Cloud-Skills beherrschen.“
Maike Rose: SAP sieht in der Prozessabdeckung für 25 Branchen ja einen großen Wettbewerbsvorteil. Warum genau?
Sven Denecken: Die Branche, in denen das jeweilige Unternehmen aktiv ist, bestimmt natürlich sehr stark die Geschäftsprozesse. Deshalb sind branchenspezifische Prozesse sehr wichtig. Aber sie können nicht losgelöst von Kernprozessen wie Logistik, Materialwirtschaft oder Produktion betrachtet werden – das geht Hand in Hand und muss zusammen gedacht werden. Die Prozessabdeckung, die SAP in 25 Branchen hat, ist daher ein klarer Wettbewerbsvorteil. Beides – Kernprozesse und Branchen – gehören weiter zu den Stärken von SAP.
Wie können sich SAP-Partner hier konkret positionieren, um Unternehmen weiter aktiv zu begleiten und Entwicklungen mitzugestalten?
Partner können sich als Branchenexperten oder Lösungsintegratoren positionieren. Dazu müssen sie jedoch auf jeden Fall die Standardprozesse des SAP Clean Core beherrschen und darüber hinaus für die Industry Cloud eigene Komponenten entwickeln. Hier liegen die Chancen für das Partner-Ökosystem.
Konkret gibt es da für die Partner mehrere Ansatzpunkte: Erstens, die Beratung stark auf Branchen-Herausforderungen und -Prozesse fokussieren. Zweitens, Branchenlösungen aktiv mitgestalten, indem sie an Entwicklungsinitiativen teilnehmen, aber auch eigene Innovationen vorantreiben, die über die die klassischen White Spaces hinausgehen. Drittens, die eigene Beratungskompetenz durch branchenspezifische Erweiterungen ausbauen, immer mit Blick auf Mehrwert und Differenzierung beim Kunden. Viertens, Integration nicht vergessen – sie spielt in jedem Projekt eine zentrale Rolle. Und noch ein Plus: am Ende zählt auch immer der Nachweis von Expertise: starke Referenzen in der jeweiligen Branche schaffen Vertrauen und helfen, neue Kunden zu gewinnen.
„Es geht darum, Technologie, neue Geschäftsmodelle und Services mitzudenken.“
In Deutschland sind beispielsweise Automotive, Maschinenbau oder Chemie Schlüsselindustrien. Was erwartet SAP hier von den Partnern und wie unterstützt sie das Ökosystem?
Grundsätzlich ist es so, dass SAP gerade in Branchen, die einem starken Wandel unterliegen oder große Investitionen tätigen – ich würde da auch Public Services oder Defense mit dazu nehmen – bestimmte Themen setzt, die ein Partner aufgreifen sollte. An erster Stelle stehen hier allgemein Cloud Skills, und zwar im Sinne von: Mit welcher Methodologie gehe ich das Thema Cloud an? Ein klassisches „Sag mir dein Problem und ich baue dir eine Lösung“ wird heute nicht mehr akzeptiert. Es geht darum, die Technologie, neue Geschäftsmodelle und Cloud-Services mitzudenken.
Und dann gibt es natürlich die branchenspezifischen Aufgaben. Im Automotive-Bereich ist zum Beispiel Customer Experience sehr wichtig. In der Chemiebranche wiederum geht es stark um Energienutzung und makroökonomische Herausforderungen. Fragen wie diese erfordern starkes Know-how in Technologie und Change Management. Deshalb ist es wichtig, über die Koordination von SAP und den Partnern die Bedürfnisse der Branchen schnell zu adressieren und sie in die Transformation hineinzubringen.
Gibt es da eine klare Abgrenzung zwischen dem, was SAP selbst entwickelt und was von den Partnern erwartet wird?
Wenn SAP Entwicklung betreibt, macht sie das heute fast nie ohne das Partner-Ökosystem. Da ist SAP wesentlich offener geworden – sowohl beim Portfolio insgesamt als auch speziell bei Branchenspezifika. Für das Ökosystem ist es entscheidend, genau zu wissen, wie das Angebot von SAP aussieht. Grundlage sind immer die standardisierten Prozesse und Use Cases, die SAP selbst definiert hat. Sind diese bekannt, können Partner Lücken für sich identifizieren.
Als Einstieg eignen sich zum Beispiel spezialisierte Workflows, branchenspezifische Compliance-Anforderungen oder lokale Besonderheiten. In solchen Bereichen sind Partner extrem stark. Und gerade da ist die enge Zusammenarbeit mit SAP – oft auch direkt mit der Entwicklung – ein sehr guter Einstieg.
„Mehr als die Hälfte der Entwicklungen sollten auf fachliche White Spaces abzielen.“
Welche Erwartung hat SAP an deutsche Partner, wie viel ihrer Entwicklungsleistung künftig in die Abdeckung fachlicher Whites Spaces und wieviel tatsächlich in industriespezifische Innovation investiert wird?
Ich bin eher ein Freund davon, auf die aktuelle Realität zu schauen, statt in die Glaskugel zu gucken. Die Erwartung, gerade bei deutschen Partnern, ist, dass sie überwiegend die fachlichen Lücken abdecken und gleichzeitig Innovation betreiben. Die SAP Business Technology Platform und die SAP Business Data Cloud sind hier Schlüsseltechnologien und Motoren für datengetriebene Lösungen.
Gerade im Mittelstand und in klassischen Industrien wie Automotive, Maschinenbau oder Chemie müssen die individuellen Geschäftsprozesse und regulatorischen Anforderungen berücksichtigt werden. Meine Empfehlung: Mehr als die Hälfte der Entwicklungsleistung sollte auf fachliche White Spaces entfallen – dazu gehören auch spezialisierte Workflows und branchenspezifische Compliance-Themen. KI-gestützte Analysen, IoT, Integration, Automatisierungsthemen wie Maintenance oder Supply Chain sind entscheidend. Industriespezifische Innovationen machen eher weniger als die Hälfte aus, sind aber auch wichtig. Dabei muss auch die semantische Daten-Integration über Landschaften hinweg berücksichtigt werden – das wird der spannende Punkt sein, nicht mehr nur die klassische funktionale Erweiterung, wie wir sie historisch kennen.
Welche Unterstützung bietet SAP den Partnern konkret bei der Entwicklung in der Industry Cloud?
Es gibt ein klares Toolset für Innovationen mit dem Partner-Ökosystem, etwa der Roadmap Explorer, die klassischen Partnerprogramme, der API Business Hub, SAP BTP oder SAP Build. Das ist die Toolchain, mit der SAP die Partner versorgt, um zu zeigen, wo die Entwicklung steht.
Eine große Rolle spielen auch die Partner- und branchenspezifischen Foren. Dort stimmt sich SAP mit den Partnern zu Entwicklungsplänen und Roadmaps ab – auch um Doppelentwicklungen zu vermeiden und Synergien zu schaffen. Bekannte Programme sind PartnerEdge oder die Industry Cloud Community. Dazu kommen Partner Advisory Boards, die gerade für die branchenspezifische Zusammenarbeit wichtig sind.
SAP initiiert regelmäßig solche Austauschformate, der Einstieg ist meist einfach, wenn der Partner Branchen-Know-how und Referenzen mitbringt. Das generische Toolset kann sich jeder aneignen, aber gerade die branchenspezifische Zusammenarbeit ist der entscheidende Punkt.
„Das SAP-Governance-Modell für Clean Core und
Cloud-Services muss erhalten bleiben“
Wesentliche Pfeiler der SAP-Strategie sind Clean Core und Cloud. Wie müssen sich SAP-Partner anpassen, um weiterhin attraktiv für Kunden zu bleiben?
Partner kommen und gehen, das ist natürlich. Mit Blick auf die SAP-Cloud-Strategie ist wichtig, dass sich innerhalb des Ökosystems das Skillset ändern muss. Für einen „klassischen“ Partner mit zwanzigjähriger Erfahrung in ERP kann das eine Herausforderung sein, weil Standardisierung, Best Practices und Innovation – gerade auch im Sinne von AI oder Themen rund um datengetriebene Lösungen und Datensemantik – viel wichtiger werden. Denn die zugehörigen Lösungen erfordern neues Know-how über Applikationen hinweg, Systemlandschaftsanalyse, Harmonisierung, Datenmanagement, Archivierung – und dann kommt noch hinzu, wie der Partner das im Cloud-Umfeld umsetzen kann.
Clean Core wiederum ist eine strategische Philosophie, die den Kern des SAP-Systems standardkonform halten soll, also ohne Modifikationen. Das Ziel ist klar: Updatefähigkeit und damit Agilität und Stabilität des Systems. Wichtig ist, dass individuelle Erweiterungen außerhalb des Kernsystems so durchgeführt werden, dass das Governance-Modell für Upgrades erhalten bleibt – das ist das zentrale Mantra.
Entscheidend für einen Partner ist also, ob er in der Lage ist, Governance und kontinuierliche Optimierung beim Kunden umzusetzen, ohne in alte Muster zurückzufallen, nur Add-ons zu bauen und die Upgradefähigkeit oder den Clean Core der SAP-Lösungen zu gefährden. Wer die Software- und Serviceprinzipien versteht, ist hier am besten aufgestellt.
Letzte Frage: Auch künstliche Intelligenz – etwa durch SAP Joule oder SAP Business AI – ist Teil der SAP-Strategie, im Zusammenwirken von Cloud First, SAP BTP und der SAP Business Data Cloud. Wie unterstützt SAP die Partner, damit KI-Lösungen datenschutzkonform eingebettet werden?
Für die Partner im deutschsprachigen Raum gibt es klare Richtlinien mit Blick auf Datenschutzkonformität und die branchenspezifische Einbettung in KI-Lösungen. Nicht jedes Modell ist für jeden Ansatz geeignet. Deshalb gibt SAP im Rahmen der Business-AI-Strategie und SAP BTP ein umfassendes Angebot vor. Außerdem sind SAP Build oder SAP BTP schon nativ mit AI „verheiratet“, das ist ein zusätzlicher Enabler für die Partner. Die Business AI Strategie der SAP ist sehr offen und hilft Partnern, aufwärtskompatibel mit den schnellen technologischen Veränderungen zu bleiben.
Die Nutzung von Plattformtools wie SAP Build oder die Integration von KI-Funktionalitäten ist dadurch einfacher. Auch Partner mit branchenspezifischem Know-how, die sie vielleicht selbst nicht komplett aufbauen oder finanzieren könnten, erhalten so Zugang zu diesen Technologien – und können sie effizient nutzen, in ihre Lösungen einbinden und gleichzeitig die Governance- und Ethikstandards einhalten.
Das Interview führte Maike Rose, Geschäftsführerin und Chefredakteurin beim IT-Onlinemagazin.