Nachdem SAP die Branchenlösung IS-H 2022 abgekündigt hat, müssen Kliniken sich zusätzlich zum Wechsel auf SAP S/4HANA mit einer Nachfolgelösung auseinandersetzen. Letztere werden aktuell von mehreren SAP-Partnern entwickelt, es gibt noch keine etablierte neue Lösung am Markt.
Wie man das IS-H-Wartungsende strategisch beim Umstieg auf S/4HANA berücksichtigen und gleichzeitig die Risiken und Komplexitäten der Systemmigration minimieren kann, fasst Moritz Eifler (Senior Manager und Competence Center Lead SAP Health bei adesso orange) in seinem Gastbeitrag zusammen – und geht auch auf die Regelungen zur Cloud-Nutzung im Gesundheitswesen ein.
SAP IS-H bei S/4HANA-Migrationsplanung berücksichtigen
SAP-Kunden im Gesundheitswesen stehen vor der Herausforderung, ihre digitale Infrastruktur umfassend zu modernisieren. Dies umfasst nicht nur die Ablösung des bisherigen ERP-Systems durch die moderne SAP S/4HANA-Plattform, sondern auch den Ersatz des SAP-Systems für die Patientenabrechnung, SAP IS-H, das in der neuen S/4HANA-Welt nicht mehr weitergeführt wird. Eine gründliche und durchdachte Migrationsplanung ist entscheidend, um den langfristigen Erfolg sicherzustellen und den Übergang möglichst reibungslos zu gestalten.
Die Grundlage: Transformation zu S/4HANA
Der erste Schritt in diesem Transformationsprozess sollte die Umstellung des ERP-Systems auf SAP S/4HANA sein. Diese Entscheidung ist von zentraler Bedeutung, da sie die Grundlage für zukünftige Innovationen schafft, Engpässen bei Beraterressourcen vorbeugt und den Weg für eine flexible Auswahl eines neuen Abrechnungssystems ebnet. In der aktuellen Phase befinden sich viele alternative Systeme zu SAP IS-H in der Pilotierung und werden in den kommenden Jahren auf dem Markt verfügbar sein. Der Umstieg auf S/4HANA kann durch zwei Hauptmethoden erfolgen: den Greenfield-Ansatz und den Selective Data Transition-Ansatz.
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Migrationsoptionen: Greenfield- und Selective Data Transition
Der Greenfield-Ansatz ermöglicht eine vollständige Neuinstallation der Systeme. Bei diesem Ansatz werden alle Prozesse von Grund auf neu durchdacht und implementiert. Er eignet sich besonders für Kliniken, die ihre bestehenden Prozesse umfassend modernisieren möchten. Der Greenfield-Ansatz bietet die Möglichkeit, eingefahrene Workflows zu überarbeiten, vorhandene Daten zu bereinigen und neue, auf den SAP-Standard abgestimmte Prozesse mithilfe von SAP Best Practices zu etablieren. Dies ermöglicht eine umfassende Neugestaltung der Prozesse, die auf den neuesten technologischen Standards basiert.
Im Gegensatz dazu ermöglicht der Selective Data Transition-Ansatz die gezielte Konvertierung ausgewählter Teile des bestehenden Systems, während andere Teile des Systems unverändert bleiben. Diese Methode ist ideal, wenn nur spezifische Prozesse erneuert werden sollen, ohne dass das gesamte System neu aufgesetzt werden muss.
Ein weiterer Ansatz ist der Brownfield-Ansatz, der im Wesentlichen ein „Upgrade“ des vorhandenen Systems darstellt. Bei diesem Ansatz bleiben die bestehenden Prozesse und individuellen Anpassungen erhalten, und die Add-Ons werden aktualisiert. System- und/oder Prozessoptimierungen sind hierbei optional. Für IS-H-Kunden ist dieser Ansatz jedoch weniger geeignet, da es in der S/4HANA-Welt kein entsprechendes Äquivalent zu IS-H gibt.
Risikoarme Ablösung von IS-H durch Side-by-Side-Ansatz
Zusätzlich zur Migration auf S/4HANA steht auch der Austausch des IS-H-Systems an. Um diese Transformationsprojekte in überschaubare Schritte zu unterteilen und sowohl Komplexität als auch Risiken zu minimieren, bietet sich ein Ansatz an, der parallel gesteuert ist: Er sorgt dafür, dass das S/4HANA-System über eine Schnittstelle mit dem bestehenden SAP IS-H-System verbunden bleibt. Kliniken können sich zunächst auf die Migration zu S/4HANA konzentrieren und sich anschließend dem Austausch des IS-H-Systems widmen. Auf diese Weise haben sie die Möglichkeit, aus einer Vielzahl neuer Abrechnungssysteme zu wählen, die derzeit von verschiedenen Herstellern entwickelt werden.
Auch von Seiten SAP gibt es eine Empfehlung in diese Richtung. Frank Kurz, Vertriebsleiter für Healthcare, sagt dazu: „Die Migration zu S/4HANA sollte sorgfältig geplant werden. Die Expertise von Beratern und durchdachte Migrationsansätze sind entscheidend, um diesen Prozess effizient und erfolgreich zu gestalten. Insbesondere ein Side-by-Side-Ansatz hilft unseren Kunden, die Transformation heute schon anzugehen und gleichzeitig die Risiken und Komplexitäten der Systemmigration zu minimieren.“
Cloud: Zukunftsweisende Option für den Gesundheitssektor
Ein weiterer entscheidender Aspekt bei der Entscheidung für S/4HANA ist die Überlegung, ob die Lösung aus der Cloud bezogen werden sollte. Immer mehr Kliniken entscheiden sich für den Cloud-Weg, um von Vorteilen wie reduzierter Softwarepflege, erweiterten Sicherheitsfeatures und einer Entlastung des internen Personals zu profitieren. Dies ist besonders relevant im Kontext des Fachkräftemangels, da es den Kliniken ermöglicht, sich auf zentrale Aufgaben im Klinikbetrieb zu konzentrieren. Zudem bietet die Cloud entscheidende Vorteile für Innovationen, insbesondere im Bereich der generativen künstlichen Intelligenz (KI), da sie die notwendige Flexibilität und Rechenleistung bereitstellt, um moderne KI-Technologien zu integrieren und weiterzuentwickeln.
Sozialdaten in der Cloud?
In der Vergangenheit war die Verarbeitung von Sozialdaten in der Cloud nahezu unmöglich – sie war mit erheblichem Aufwand verbunden, oft nicht erlaubt und es fehlten passende Lösungen am Markt. Dies führte dazu, dass viele Organisationen zögerten, die Cloud zu nutzen. Die persönlichen und unternehmerischen Risiken waren schwer abzuschätzen. Aber die Situation hat sich mittlerweile geändert. Die Cloud-Anbieter haben die Herausforderungen angenommen und spezifische Anpassungen technischer, organisatorischer und vertraglicher Art vorgenommen. Zusätzlich wird das Digital-Gesetz um § 393 erweitert, der den „Cloud-Einsatz im Gesundheitswesen“ explizit regelt.
Über den Autor:
Moritz Eifler ist Leiter des Competence Centers SAP Health und bei adesso orange für alle SAP-Themen im Bereich Kostenträger und Leistungserbringer verantwortlich. Seine Erfahrungen im Gesundheitswesen sammelte er als SAP Manager in einem Klinikkonzern und ehrenamtlich im Rettungsdienst und Katastrophenschutz.
Gemeinsam mit seinen Kollegen begleitet er Kliniken bei der Transformation zu S/4HANA. Dies erfolgt sowohl durch gezielte Beratung und die Bereitstellung unterschiedlicher Migrationsansätze wie den Side-Car-Ansatz als auch ein entsprechendes Vorgehensmodell, angelehnt an SAP Activate.