Cloud hier, Cloud da, Cloud überall – es war wohl der meistgenannte Begriff in den Keynotes zum DSAG-Jahreskongress 2023 in Bremen. Mit mehr als 5.000 Teilnehmenden insgesamt standen die Zuhörerinnen und Zuhörer bei den Eröffnungsreden teilweise in den Gängen. Überwiegend positiv wurde aufgenommen, dass SAP-CEO Christian Klein persönlich kam, um die SAP-Sicht zur Cloud-Strategie noch einmal zu erklären. Die letzte Ankündigung von Klein bei der Bilanzpressekonferenz im Juli 2023 hatte für Verärgerung unter den SAP-Anwenderunternehmen gesorgt. Dort informierte er, dass SAP seine Innovationen nur noch im Rahmen der Cloud-Angebote RISE und GROW with SAP zur Verfügung stellt.
DSAG fordert Innovationen auch für SAP-On-Premises-Kunden
SAP auf eigenen Servern, also On-Premises zu hosten, erschien in allen Keynotes von DSAG und SAP wie ein Auslaufmodell. Die letzte schwere Hürde zum Sprung in eine bessere Zukunft. In der Realität befindet sich der Großteil der SAP-Kunden laut DSAG-Investitionsreport noch in der lokal gehosteten Welt. Das betrifft auch die sogenannten „Early Adopter“, die schon früh in S/4HANA und damit in On-Premises investiert haben.
„Eine Cloud-first-Strategie können wir verstehen, Cloud only ist keine Option“, unterstrich DSAG-Vorstandsvorsitzender Jens Hungershausen daher in seiner Keynote zur Eröffnung des Kongresses. Die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e.V. (DSAG) ist für die Nutzung der Cloud-Technologie. Der Leistungsumfang der Innovationen solle aber identisch bleiben für SAP S/4HANA Private Cloud und S/4HANA On-Premises.
Klare Entwicklungspfade für den Übergang in die Cloud, Investitionsschutz für bisherige Ausgaben, eine bessere Preis-Leistung sowie bessere Produkt- und Servicequalität sind weitere DSAG-Forderungen.
S/4HANA On-Prem wird funktional weiterentwickelt
Als Innovationen gelten zum Beispiel KI-basierte Lösungen wie die Umweltberichterstattung Green Ledger oder größere Funktionsbausteine und Erweiterungen auf der Business Technology Platform (BTP). Sie stehen nur SAP-Cloud-Kunden zur Verfügung. Die S/4HANA-Suite On-Premises wird funktional weiterentwickelt und auch die API sollen weiter entwickelt werden.
SAP: Cloud-Transformation ist notwendig
In der Vergangenheit hatten die Keynotes von SAP und DSAG oft einen Dialog-Charakter. Fragen oder Forderungen und Antworten fanden sich in einem gemeinsamen Vortrag. In diesem Jahr folgten sie aufeinander.
Christian Klein stieg nach Jens Hungershausen direkt mit einer Rechtfertigung der SAP-Strategie ein: SAP müsse sich im Sinne aller mit und am Weltmarkt orientieren, um fortzubestehen. Der Wandel und der Wettbewerb sei in den letzten 20 Jahren ausschließlich in der Cloud entstanden. Anbieter wie Microsoft haben die Cloud-Transformation fast vollständig abgeschlossen. Er versicherte, SAP sei sich bewusst, dass die SAP-Bestandskunden „der größte Schatz“ sind. Die offene Zusammenarbeit sei wichtig und die Verantwortung groß für die vielen geschäftskritischen Prozesse. 80 Prozent der Materialströme weltweit würden von SAP gemanagt.
Christian Klein: Keiner soll zurückgelassen werden
Keiner solle zurückgelassen werden auf dem Weg der Transformation, wirkte fast wie ein Mantra der Keynote von Christian Klein. Dafür investiere man jedes Jahr auch weiterhin Milliarden in den bisherigen Bestand. Auf Dauer könnten aber 200 verschiedene ERP-Versionen in 130 Ländern nicht bleiben. Wir haben leider vergessen zu fragen, ob das Problem nicht hausgemacht ist — oder welchen Anteil die Kunden an dieser Vielfalt haben.
Die vor drei Jahren auch für SAP selbst beschlossene Transformation besteht in der Zielarchitektur aus einem modularen, cloudbasierten Plattform-Geschäftsmodell. Innovationen wie Künstliche Intelligenz (KI) für die Nachhaltigkeitslösung Green Ledger machen laut Christian Klein keinen Sinn auf On-Premises. Die Qualität müsse hochgehalten werden. Datensilos und KI-Training mit möglichst vielen Daten passten nicht zueinander.
SAP-Technologievorstand Thomas Saueressig zeigte denn auch in seiner Keynote, was zukünftig zum Alltag mit SAP gehören soll: In mehreren Live-Demos wird das Publikum durch Prozesse in SAP geführt, die unter anderem mithilfe des intelligenten Chat-Assistenten „Co-Pilot“ auch SAP-Laien ohne Transaktionswissen erfolgreich zum Abschluss bringen können. Die generative künstliche Intelligenz ist ein zentrales Thema für SAP.
SAP-Kunden: Man spricht weiter On-Premises
Laut DSAG-Investitionsreport 2023 setzen rund 80 Prozent der befragten Unternehmen SAP ERP beziehungsweise die SAP Business Suite ein. S/4HANA On-Premises nutzen 41 Prozent. Der Anteil der S/4HANA Private Cloud liegt bei 8 und der für die Public Cloud bei 3 Prozent. Die Stimmung unter SAP-Anwenderunternehmen und SAP-Partnern auf dem Kongress ist gemischt. Die Unsicherheit zur richtigen Transformationsstrategie erscheint groß.
Produktabkündigungen, funktional noch nicht ausgereifte Cloud-Produkte und ein nahendes Wartungsende sorgen für tiefe Stirnfalten. Darauf gab es auch diesmal keine Antworten. Aus Herstellersicht alles nachvollziehbar, ist allgemeiner Tenor. Unter „wir lassen keinen zurück“ können sich nur wenige etwas vorstellen. Die Sprache ist On-Premises, private cloud und hybrid, nicht Cloud-only oder public cloud.
S/4HANA Cloud: Wo sind Mehrwert und Zukunftssicherheit?
Die Mehrheit der SAP-Kunden erscheint noch zögerlich, wenn es um die SAP-Cloud geht. Gründe werden viele genannt in den zahlreichen Gesprächen: Weil der Weg durch hohe Individualisierung noch weit ist zur Cloud-Transformation, weil die Kosten nicht klar erscheinen, weil die Cloud-Lösungen die benötigte Funktionalität noch nicht erfüllen, weil die Innovationen nicht sinnvoll nutzbar sind — oder weil man schlicht keinen Mehrwert sieht in den nächsten Jahren für das eigene Geschäftsmodell.
„SAP, Ihr müsst die Cloud-Produkte zu Ende bauen!“
Es geht alles Richtung Cloud, darüber ist sich auch der weitere DSAG-Fachvorstand mit Christine Grimm und Thomas Henzler einig. Er weist aber auf ein derzeit häufiges Dilemma von SAP-Anwenderunternehmen hin: Während Cloud-Lösungen „noch nicht so weit“ seien, laufen On-Premises-Produkte bald aus der Wartung. „Technologie darf kein Selbstzweck sein“, mahnt er.
Und Christine Grimm fordert: „SAP, Ihr müsst die Cloud-Produkte zu Ende bauen!“ SAP-Kunden sollten nicht Gefahr laufen, aufs Abstellgleis oder in eine Kostenfalle zu geraten. Der Wille zur Transformation müsse beim Hersteller und auch beim Kunden da sein.
Erstmals gewählt: DSAG bekommt SAP-Partner-Beirat
Rund ein Drittel der DSAG-Mitgliedsunternehmen sind SAP-Partner. Zum DSAG-Jahreskongress in Bremen wurde erstmals ein SAP-Partner-Beirat als Sparringspartner der DSAG gewählt. Die sechs Vertreterinnen und Vertreter repräsentieren jeweils drei Unternehmensgrößen (small, medium, large) für Consulting und Produkte.
Partner werden von SAP als zentraler Baustein im SAP-Ökosystem gesehen. Aber auch hier gibt es viel Gesprächsbedarf zwischen Partnern und der SAP. Beispielsweise soll die SAP Cloud-Zertifizierung für Anbieter von Rechenzentrumsleistungen nicht mehr möglich sein, weil es mit RISE und GROW eigene SAP-Angebote gibt.
Die DSAG erwartet im Forderungskatalog an die SAP-Partner mehr Verständnis, eine bessere Preis-Leistung, tieferes SAP-Know-how und eine höhere Verbindlichkeit.
Fazit
Das Dilemma erscheint für Hersteller SAP wie auch für die SAP-Kunden groß. Die eine Seite sieht die exponentielle Geschwindigkeit am Markt, mit der man Schritt halten muss. Die andere Seite benötigt Planungssicherheit, Investitionsschutz und ausgereifte Cloud-Produkte, um strategisch nachhaltige Entscheidungen zu treffen.
Der Druck im SAP-Kessel bleibt hoch, daher wird die Zusammenarbeit zwischen SAP-Kunden, SAP und SAP-Partnerunternehmen weiter ausschlaggebend für den Transformationserfolg aller Beteiligten bleiben – es geht nur gemeinsam. Wer eigensinnig und ohne Rücksicht agiert, dürfte langfristig verlieren.
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