Steffen Pietsch: CIO sollte Business- und Technologiestrategie zusammenführen

SAP-Anwenderunternehmen passen ihre SAP-Strategie unter den Veränderungen der Digitalisierung und des Technologiewandels an. Die DSAG lädt IT-Verantwortliche daher mit dem Motto „Digitalisierung hat viele Seiten. Auf den richtigen Dreh kommt es an“ zu ihren Technologietagen 2020 ein.

Die DSAG fordert von SAP eine nahtlose technische und semantische Integration ihres Produktportfolios, Nachbesserungen bei der Dualität von Cloud- und On-Premise-Angeboten, Vorschläge für realistische Migrationsstrategien und dadurch auch Investitionssicherheit.

Von Steffen Pietsch, DSAG-Vorstand Technologie, wollte ich wissen, wo die SAP-Anwenderunternehmen aktuell stehen, was er von der neuen SAP-Führungsspitze erwartet, wo er sich von SAP mehr Unterstützung wünscht, und was er den CIO in den Anwenderunternehmen für die weitere Digitalisierung empfiehlt.

 

Herr Pietsch, die Digitalisierung im deutschsprachigen Raum vollzieht sich ja offenbar immer noch recht langsam — woran fehlt es in den Unternehmen, an Strategien, Veränderungswillen, Investitionsbereitschaft, an den passenden Werkzeugen oder an etwas anderem?

Steffen Pietsch DSAGSteffen Pietsch: Die Systemlandschaften der Unternehmen sind über Jahre hinweg gewachsen und die Komponenten wurden komplexer und abhängiger voneinander.  Wie beim Zauberwürfel reicht es nicht aus, einen einzelnen Stein zu betrachten. Für ein stimmiges Gesamtbild müssen eine ganze Reihe an Steinen umgedreht werden. In Anlehnung an das Motto der Technologietage 2020 kommen dabei viele Seiten zum Tragen.

Die Cloud beispielsweise beschleunigt viele Digitalisierungsvorhaben. Gleichzeitig sehen zahlreiche Unternehmen aufgrund organisatorischer, legaler oder technischer Rahmenbedingungen eine Cloud-only-Strategie als nicht realisierbar an. Daher gehen wir als DSAG mittelfristig von hybriden Systemlandschaften aus. Da der Betrieb hybrider Landschaften einerseits komplex ist und die Unternehmen einer Cloud-only-Strategie andererseits nicht folgen werden, erwarten wir von SAP geeignete Werkzeuge und belastbare Roadmaps.

Darüber hinaus befassen sich viele DSAG-Mitgliedsunternehmen mit der Frage, wie ein möglicher Weg zu S/4HANA aussehen kann. Diese Transformationsvorhaben — unter Berücksichtigung notwendiger Anpassungen in Umsystemen — bedeuten für viele Unternehmen eine massive Investition. Neben monetären Ressourcen sind die richtigen Mitarbeitenden ein wichtiger Erfolgsfaktor und Engpass zugleich. Verschärft wird diese Situation dadurch, dass im Arbeitsmarkt nur wenige gut qualifizierte Mitarbeitende verfügbar sind und auch externes Sourcing zunehmend schwerer wird.

Die Unternehmenskultur kann sich förderlich oder hinderlich auf Digitalisierungsvorhaben auswirken. Digitalisierungsvorhaben mit disruptivem Charakter haben gute Erfolgschancen in einer Kultur, in der Fehler als Teil des Wegs zum Erfolg gesehen werden. Ist dies nicht gegeben, müssen Unternehmen umso mehr in Change- und Transformationsmanagement investieren.

 

Ohne Softwarelösungen und Technologie keine Digitalisierung: Einen Großteil Ihrer Wünsche in Richtung SAP formulieren Sie schon seit einigen Jahren. Wo gibt es Fortschritte — und wo eher nicht?

Erfreulicherweise sehen wir Fortschritte in verschiedenen Bereichen. Dazu zählt beispielsweise die SAP-Initiative zum Domain-Model-Alignment (DMA).  DMA dient dazu, die Kompatibilität der heterogenen Datenmodelle in verschiedenen SAP-Applikationen herzustellen und ist künftig ein wichtiger Baustein für durchgängige Integrationsszenarien. Aus konzeptioneller Sicht unterstützen wir diese Maßnahme.

Darüber hinaus begrüßen wir die klare Positionierung der SAP-Cloud-Platform als Integrations- und Erweiterungsplattform mit Fokus auf SAP-Lösungen und Geschäftsprozesse. Damit diese Strategien tragen, ist eine durchgängige API-Strategie erforderlich. Positiv bewerten wir, dass SAP eine API-Strategie etabliert und mit dem API-Business-Hub einen zentralen Einstiegspunkt bietet.

Die Richtung stimmt, aber es gibt noch viel zu tun. Zum Domain-Model-Alignment fehlen Konkretisierungen und Informationen für unsere Mitglieder, die es ermöglichen, zu bewerten und zu planen. Die Umsetzung der API-Strategie ist auf Ebene der einzelnen API lückenhaft. Zudem fehlen Konzepte für den hybriden Betrieb von SAP-Landschaften.

 

Mit der neuen Führungsspitze der SAP dürften viele die Erwartungen verbinden, dass die von Haus-aus-Integrationsfähigkeit und die Harmonisierung der Oberflächen der zugekauften SAP-Lösungen jetzt noch höhere Priorität bekommen könnte. Was erwarten Sie — und was fordern Sie?

Wir begrüßen die Kundenorientierung der neuen SAP-Doppelspitze und sind sehr zuversichtlich, dass sich der Wechsel positiv auf die Integrationsfähigkeit und Durchgängigkeit von SAP-Lösungen – und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit – auswirken wird.

Wir fordern, dass SAP nicht nur Oberflächen harmonisiert, sondern auch „unter der Motorhaube“ vereinheitlicht. Dies umfasst insbesondere einheitliche Erweiterungs- und Betriebskonzepte für hybride Landschaften. Darüber hinaus ist es zwingend erforderlich, dass SAP für mehr Investitions- und Planungssicherheit sorgt. Dort, wo sich herstellerseitige Produktveränderungen abzeichnen, erwarten wir realistische Migrationspfade – im technischen und kaufmännischen Sinn!

 

Die Koexistenz von Cloud- und On-Premise-Lösungen dürfte in der IT-Welt das präferierte Betriebsmodell sein. Wo fehlen Ihnen verlässliche Roadmaps und belastbare Produkt-Strategien zu SAP On-Premise-Lösungen?

Wir nehmen in verschiedenen Bereichen funktionale Überlappungen in Produkten und damit einhergehende Unsicherheit wahr, ob mehrere Lösungen parallel weiterentwickelt oder in den Wartungsmodus wechseln werden.

Exemplarisch möchte ich das Portfolio der Analytics- und Planungslösungen nennen: Derzeit ist es aus Kundensicht schwer, Orientierung zu finden und eine mittel- bis langfristige Data-Warehouse-Strategie zu entwickeln. Mit BW on HANA, Embedded BW, BW/4HANA und Data-Warehouse-Cloud bewegt sich viel im Portfolio. Es ist jedoch eine Herausforderung, Kosten, Nutzen sowie die SAP-Produktstrategie herauszuarbeiten.

Als Frontend ist die SAP Analytics Cloud (SAC) mittlerweile eindeutig von SAP als strategische Lösung positioniert – ungeachtet der Frage, wie Kunden, die bisher SAP Lumira einsetzen, sinnvoll kaufmännisch und technisch zur SAC wechseln können. Abschließend gibt es diverse Planungslösungen und Einzelanwendungen mit Predictive-Funktionalitäten, deren Abgrenzung und langfristige Positionierung noch nicht eindeutig definiert sind.

SAP muss folglich zu klaren Aussagen in der Produktstrategie kommen und nachhaltige Architekturentscheidungen ermöglichen. Darüber hinaus sind Migrationsszenarien notwendig, um bereits getätigte Investitionen zu schützen. Wir stehen SAP hier wie gewohnt als Sparrings-Partner zur Verfügung, um bestmöglich im Sinne der Anwender zu entscheiden.

 

Sie sagten mir letztes Jahr, es sei erforderlich, dass SAP ihren Kunden nicht nur Technologie liefert, sondern sie mit Best Practices und Architekturempfehlungen beim Aufbau von langfristig wartbaren Applikationen unterstützt. Kommen Sie hier weiter?

Um bei dem Beispiel der analytischen Lösungen zu bleiben, fordern wir neben belastbaren Produktstrategien von SAP Empfehlungen, um Bausteine auszuwählen und Systemlandschaften in Form von Referenzarchitekturen aufzubauen, zum Beispiel zum Einsatz der SAP Analytics Cloud als analytisches Frontend für mehrere Lösungen (S/4HANA, C/4HANA, BW4/HANA). Diesen Bedarf nehmen wir in vielen Bereichen wahr und der Informationsbedarf zur „richtigen“ Verwendung von SAP-Software ist weiterhin groß – und wächst mit jeder neuen Lösung.

Verschiedene DSAG-Arbeitskreise und -gruppen fassen ihre Erfahrungen in Leitfäden zusammen und stellen diese zum Download im Mitgliederportal bereit. Dies ist ein deutlicher Mehrwehrt für unsere Mitglieder und darüber hinaus. Gleichzeitig fordern wir vom Hersteller eine klare Empfehlung, wie seine Software eingesetzt werden sollte.

Darüber hinaus wurde in Zusammenarbeit von DSAG und SAP das Programm „S/4HANA Adoption Starter“ initiiert, das SAP-Anwenderunternehmen auf dem Weg von SAP ERP zu S/4HANA begleitet. Mit Adoption Starter, das sehr stark die Planungs- und Konzeptionsphase unterstützt, haben DSAG und SAP gemeinsam eine Erleichterung für all diejenigen gebracht, die sich auf den Weg zu S/4HANA begeben haben und noch begeben wollen. Außerdem wird durch das zusätzliche Programm „Join the SAP S/4HANA Movement“ mittels eines Sets an Tools, Services und Wissen nun auch der weitere Weg der Einführung erleichtert. Ähnliche Unterstützung benötigen wir auch für andere SAP-Lösungen.

Eine Voraussetzung, um gut zu entscheiden, ist eine valide Dokumentationsbasis. Wir begrüßen daher die Aktivitäten von SAP zur Enterprise-Architecture-Dokumentation mit Fokus auf Integration. Diese ersetzen die Notwendigkeit von Best Practices und Empfehlungen nicht, tragen aber deutlich zu mehr Transparenz bei.

 

Und wie sieht es mit dem Betrieb, der Sicherheit und der Stabilität von hybriden SAP- und Non-SAP-Landschaften in den Unternehmen aus? Welche wichtigen Handlungsfelder für SAP und die IT-Verantwortlichen in den Unternehmen sehen Sie?

Von SAP fordern wir bezogen auf Sicherheit, dass Software im Auslieferungszustand sicher konfiguriert ist („Security-by-Default“). Mit S/4HANA 1909 gibt es hierzu Unterstützung, die wir auch für andere Produkte erwarten. Um über den Installationszeitpunkt hinaus SAP Lösungen sicher betreiben zu können, ist es erforderlich, dass sämtliche dafür notwendigen Informationen zentral und zeitnah zugänglich sind.

Die derzeit verstreuten Informationen müssen gebündelt und in einheitlicher hoher Qualität bereitgestellt werden. Darüber hinaus erwarten wir Tool-Unterstützung im SAP-Standard, der es ermöglicht, in einer hybriden Systemlandschaft Sicherheitslücken zu erkennen und zu beseitigen. Im Kontext hybrider Landschaften benötigen wir einheitliche Standards, unter anderem beim Monitoring und Logging, um einen effizienten Betrieb realisieren zu können.

 

Welche drei wichtigsten „Stellschrauben“ sollte ein CIO kennen, damit er bei der weiteren Digitalisierung den richtigen Dreh findet und relevanter Ansprechpartner im eigenen Unternehmen bleibt?

  1. Zusammenführen von Business- und Technologiestrategie:
    Ein CIO muss klar darstellen können, wie neue Technologien direkt auf den Geschäftserfolg des eigenen Unternehmens einzahlen. Digitalisierungsvorhaben und Technologie sind kein Selbstzweck, sondern notwendig, um die eigene Marktposition zu verbessern oder mindestens zu erhalten. Der CIO kann mit gutem Einblick in die unternehmenseigene Kunden- und Marktsituation entscheidend zur Weiterentwicklung der Geschäftsstrategie und zum Umsatzwachstum beitragen. Darüber hinaus unterstützt der CIO durch die Gestaltung digitaler Prozesse die Effizienzsteigerung und Ergebnissituation.
  2. Kultur:
    „Culture eats strategy for breakfast“, hat bereits der Ökonom Peter Drucker sehr treffend formuliert. Digitalisierung geht mit Veränderung einher und ein CIO ist gut beraten, sich nicht nur auf technologische Kompetenz, sondern darauf zu konzentrieren, den geeigneten Rahmen zu schaffen. Andernfalls scheitern Innovations- und Transformationsprojekte schnell.
  3. Netzwerk:
    Ein gutes Netzwerk ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Die DSAG bietet ein solches Netzwerk für den CIO, die IT-Organisation und verschiedene Fachbereiche. Die DSAG verfügt über den geeigneten Rahmen und fördert den Erfahrungsaustausch zwischen Mitgliedsunternehmen. Sie agiert als Sparrings-Partner für SAP und angrenzende Plattformen sowie für ihre Mitgliedsunternehmen und nimmt Einfluss auf die Weiterentwicklung von SAP-Produkten und -Lösungen.

Die bevorstehenden DSAG-Technologietage in Mannheim sind eine gute Gelegenheit, um dieses Netzwerk zu nutzen und auszubauen.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Helge Sanden, Chefredakteur des IT-Onlinemagazins, im Vorfeld DSAG-Technologietage 2020.

 

 

Weiterführende Informationen:

DSAG-Technologietage 2020 „Digitalisierung hat viele Seiten. Auf den richtigen Dreh kommt es an“. (11.-12.02. in Mannheim)

Am 11. und 12. Februar werden über 2.000 Besucher bei den DSAG-Technologietagen 2020 in Mannheim erwartet. Das Motto lautet: „Digitalisierung hat viele Seiten. Auf den richtigen Dreh kommt es an“. Zwei Keynotes der DSAG und der SAP, über 100 Vorträge, mehrere Hands-on-Sessions und 40 Partner bilden den Rahmen einer der wichtigsten Veranstaltungen in der SAP-Community.

Das IT-Onlinemagazin ist Medienpartner der DSAG-Technologietage 2020

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