Trendforschung: Wie weit sind Unternehmen mit der Digitalisierung – was kommt danach?

Wir fragten Trendforscher Sven Gábor Jánszky (2b ahead), wie lange der Digitalisierungstrend noch dauern wird, wie weit Unternehmen damit fortgeschritten sind, und was als nächstes großes Thema folgen könnte.

Die Digitalisierung und Vernetzung der Geschäftswelt findet statt. Für SAP-Kunden schon seit vielen Jahren oder gar Jahrzehnten. Neue technische Möglichkeiten – wie die Vernetzung im Internet der Dinge (IoT), verbunden mit der Sensorik und Datenerfassung großer Datenmengen (Big Data) und deren Analysemöglichkeiten in Echtzeit (Analytics) – geben Unternehmen neue Impulse, ihre Wertschöpfungsketten zu digitalisieren, zu automatisieren, und auch neuartige, oder gar disruptive Geschäftsmodelle zu entwickeln. Unser Investitionsmonitor auf dem Oktober zeigte die hohe Relevanz der „Digitalen Transformation“ für SAP-Anwenderunternehmen – die DSAG bestätigte jüngst, dass Digitalisierung fest in den SAP-Budgets verankert ist.

 

Herr Jánszky, wie bewerten Sie die „Digitalisierung“: Ist das ein Trend oder ein Mega-Trend, wie lange läuft er schon und wie lange wird er noch andauern?

SAP Digitalisierung Sven Gabor JanszkySven Gábor Jánszky: Die Digitalisierung ist der derzeit größte und wichtigste Trend auf der Welt. Er verändert radikal den Alltag der Menschen: Die Art und Weise wie Menschen leben, wie sie sich entscheiden, wem sie vertrauend. Zugleich verändert er die Geschäftsmodelle der Unternehmen. Denn Digitalisierung führt zu neuen Kundenbedürfnissen und Kundensegmenten, zu effektiveren und automatisierten Prozessen und zu adaptiven Produkten.

Dies alles ist nicht neu. Digitalisierung hat in den 50er Jahren begonnen, als die ersten Computer mit Transistoren entstanden. Das Prägende an der Digitalisierung ist aber die unvorstellbar rasende Geschwindigkeit – das Mooresche Gesetz: Alle 18 Monate verdoppelt sich die Kapazität der Computer bei gleichem Preis — alle 18 Monate halbiert sich der Preis bei gleicher Leistung. Vor 50 Jahren am Anfang der Entwicklung waren die Steigerungs-Schritte entsprechend klein, heute sind sie riesig.

Das alles wird so weitergehen. Wir erwarten in den kommenden fünf Jahren, dass Quantencomputer in die Welt kommen und die exponentielle Steigerung der Geschwindigkeit noch weiter vorantreiben. Dadurch entstehen künstliche Intelligenzen, also Computer, deren Rechenleistung und Strategiefähigkeit besser ist als die der Menschen. Etwa 2050-2060 werden Computer die menschliche Intelligenz vermutlich überholt haben. Ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht.

 

Wie weit sind die Unternehmen im deutschsprachigen Raum mit der Digitalisierung?

Digitalisierung ist in den meisten Unternehmen — die ich kenne — inzwischen zum wichtigsten Thema in Strategie und Agenda geworden. Das ist gut so! Nur leider sind wir etwas spät dran. Denn die heutigen Digitalisierungsinitiativen in der deutschsprachigen Wirtschaft vollziehen in der Regel jene Dinge nach, die internationale Vorreiter schon vor zehn Jahren umgesetzt haben. Diesen Rückstand aufzuholen, wird die größte Herausforderung sein.

Wenn man mit unverklärtem Blick auf die vermutlich entscheidenden Zukunftstechnologien für die kommenden zehn Jahre schaut: Künstliche Intelligenz, Quantencomputer und Genetik … dann ist der deutschsprachige Raum im internationalen Maßstab hier quasi nicht vorhanden. Leider hängen unsere Unternehmen im globalen Vergleich weit hinterher.

 

Gibt es Branchen die ganz weit vorne oder hinten sind? Wie bewerten Sie den Reifegrad der Digitalisierung im Bereich der „öffentlichen Hand“?

Die Automobilbranche macht gerade einen riesigen Sprung nach vorn. Durch die aus dem Silicon Valley erzwungene Beschäftigung mit selbstfahrenden Autos, haben sich die Autokonzerne mit an die Spitze der Bewegung gesetzt. Nicht freiwillig sondern gezwungen … aber immerhin. Ebenso gab es in den letzten Jahren viel Bewegung in der Energiebranche und im stationären Handel, besonders bei den großen Handelsketten.

Eher am Ende der Bewegung sind nach wie vor die Gesundheitsbranche und die Versicherungen. Besonders im Gesundheitsbereich erwarten wir allerdings für die kommenden Jahre die stärkste und lukrativste Welle der Digitalisierung.

Die öffentliche Hand nehme ich nicht als Vorreiter der Digitalisierung wahr. Abgesehen von interessanten Pilotprojekten sind die öffentlichen Akteure in der Gesamtheit wohl weit hinten. Dies ist einerseits verständlich, denn sie spüren oft keinen Marktdruck zur Veränderung. Andererseits ist es schade, weil gerade die öffentlichen Akteure durch eine konzertierte Digitalisierungsoffensive einen Schub auslösen könnten, der Deutschland eventuell sogar im internationalen Vergleich um einige Plätze nach vorn bringen könnte.

 

Unterscheiden sich SAP-Anwenderunternehmen bezüglich des Digitalisierungsgrades vom Durchschnitt – hinken sie zurück, sind sie normal entwickelt oder besonders weit?

Offen gesagt habe ich noch nie eine Statistik gesehen, die SAP-Anwender in punkto Digitalisierung mit Nicht-SAP-Anwendern vergleicht. Deshalb kann ich hier nur das Offensichtliche antworten: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass SAP-Anwenderunternehmen wenigstens schon einmal verstanden haben, dass die IT eine zentrale Komponente für ihre Geschäftsprozesse bildet. Dieses Bewusstsein ist wichtig. Und es ist nicht überall ausgeprägt. Andererseits ist die alleinige SAP-Anwendung natürlich noch keine Garantie dafür, dass man seine Geschäftsmodelle zukunftssicher ausrichtet.

Zu oft erlebe ich, dass SAP- Anwenderunternehmen die Digitalisierung missverstehen: Sie denken, dass Digitalisierung zur Prozessoptimierung basierend auf Echtzeitdaten führt. Dies ist aber falsch. Natürlich gibt es Prozessoptimierungen auf Echtzeitdaten. Das Wort dafür heißt aber Automatisierung, nicht Digitalisierung.

Digitalisierung bedeutet schneller zu sein als Echtzeit. In digitalen Unternehmen prognostiziert die Software künftige Kundenwünsche und steuert die Prozesse entsprechend. Wirklich digitale Unternehmen werden zu PREDICTIVE ENTERPRISES.

 

SAP-Technologie ist in vielen Bereichen als „de-facto Standard“ gesetzt – was erwarten Sie zukünftig?

SAP hat mit HANA die Cloud-Welt integriert und durch seinen „de-facto Standard“ damit einen sehr positiven Einfluss auf die Veränderungsbereitschaft in den Anwenderunternehmen gehabt. Was ich erwarte ist, dass in der nahen Zukunft auch künstliche Intelligenzen in das Angebot integriert werden, um die Anwenderunternehmen zu PREDICTIVE ENTERPRISES zu machen. Das ist natürlich nicht ganz trivial. Aber es wird notwendig sein, um zukunftsfähig zu bleiben. Wer – wenn nicht SAP – sollte das schaffen.

 

Worauf sollten Führungskräfte bei Digitalisierungsmaßnahmen besonders achten und welches Wissen braucht man für erfolgreiche Transformation?

Führungskräfte müssen als Erstes verstehen, dass die Regeln, mit denen Sie zu einer erfolgreichen Führungskraft geworden sind, vermutlich gerade gebrochen werden. Sie müssen lernen, diese Regeln zu vergessen, um offen zu sein für neue Regeln. Dieses „Learn to unlearn“ ist bei den Führungskräfte-Weiterbildungsmodulen meines Instituts gerade der absolute Bestseller.

Wer das verstanden hat, der wird sich nicht wundern, dass Digitalisierungsmaßnahmen weit mehr sind als Technologie. Wir Zukunftsforscher messen aktuell sieben verschiedenen Dimensionen in einem Unternehmen, wenn wir untersuchen, ob das Unternehmen „Digital ready“ ist, oder nicht.

Das reicht von der Kompetenz der Mitarbeiter über die Strategie des Managements und den Kundenschnittstellen bis zur Organisationsstruktur und Unternehmenskultur.

Jede Führungskraft braucht für sich selbst und ihre Mitarbeiter eine Methode, wie automatisierte Denkmuster im eigenen Kopf gebrochen und durch neue ersetzt werden können. Dies ist die Königsdisziplin von Transformation.

 

Welcher nächste wichtige Trend könnte nach der „Digitalisierung“ folgen?

Wenn wir unter Digitalisierung auch die Entstehung der künstlichen Intelligenzen, Machine Learning und Deep Learning verstehen, dann ist hier kein Ende absehbar.

Parallel gibt es natürlich weitere Trends, von der Demografie und einem kommenden Arbeitsmarkt der Vollbeschäftigung in Deutschland bis zur signifikanten Verlängerung der menschlichen Lebenserwartung durch Genetik und Ersatzteilorgane. Aber auch in 50 Jahren werden wir vermutlich die Digitalisierung immer noch als den wichtigsten, treibenden Trend empfinden.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Helge Sanden, Chefredakteur des IT-Onlinemagazins.

Foto: Sven Gábor Jánszky – vielen Dank für die Bereitstellung.

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