Der Umstieg auf SAP S/4HANA ist für viele Unternehmen Meilenstein und Herausforderung zugleich. Was führt dazu, dass solche Transformationsvorhaben nicht wie geplant verlaufen? Und wann spricht man tatsächlich von einem Scheitern? In seiner Kolumne geht Alexander Greb von Westernacher (Foto) genau diesen Fragen nach.
Gescheiterte ERP-Implementierungsprojekte gehören zu den Albträumen von CIOs, Beratungshäusern und ERP-Herstellern. Nicht nur, dass sie eine enorme Verschwendung von Kapital und Ressourceneinsatz darstellen – sie zerstören Vertrauen und haben im schlimmsten Falle erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen, die Organisationen in existenzielle Nöte bringen können, wie das oft zitierte Beispiel „Birmingham City Council“ aus der Oracle-Welt oder im vergangenen Jahr die beliebte Spielwarenfirma „Haba“ aus dem SAP-Kundenkreis.
Diese Beispiele führen vor Augen, dass eine SAP-Einführung nicht weniger als eine Operation am zentralen Nervensystem des Unternehmens ist, bei dem Gehirn und Wirbelsäule quasi ausgetauscht werden. Eine solche Initiative zu unterschätzen wäre also schon der erste Fehler, der zu ihrem Scheitern führen könnte.
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Wann gilt ein S/4HANA-Projekt als gescheitert?
Aber was sind die Gründe für gescheiterte SAP-Implementierungsprojekte? Und ab wann gilt ein SAP-Implementierungsprojekt als gescheitert? Muss, um als solches zu gelten, der Lizenzdeal rückabgewickelt worden sein? Oder der Kunde in erheblichen operativen Schwierigkeiten? Oder genügt für diese Bewertung bereits ein leichter Budget-Overrun oder eine Verschiebung des Go-Live Datums?
Ich persönlich bewerte ein SAP-Implementierungsprojekt dann als gescheitert, wenn die Anwendung der Lösung nicht die gewünschten Ziele in Bezug auf Anwendernutzen oder erwünschte strategische Capabilities erfüllt oder die Einführung auf so große Probleme trifft, dass Zeitplan und Budget bedeutsam überschritten werden. Der Grund, warum ich dabei geringen Mehrwert bei der Anwendung mit einem Scheitern der Implementierungsaktivitäten in denselben Topf werfe, liegt daran, dass beide Aspekte dieselben Ursachen haben.
Erfahrene Berater erleben bezüglich dieser Ursachen oft einen „Murmeltiertag“: Sie begegnen ihnen in regelmäßigen Abständen wieder, unabhängig von Unternehmensgrößen und Industrien. Was eine gute Nachricht ist, denn dies bedeutet, dass diese Stolpersteine bekannt, wiederkehrend und somit vermeidbar sind.
Was sind aber die wichtigsten Ursachen warum SAP S/4HANA Implementierungsprojekte scheitern? Sehen wir uns drei davon einmal genauer an.
Ursache 1: Der falsche Ansatz
Die Auswahl des geeigneten Ansatzes ist das kritischste Element und entscheidet maßgeblich darüber, ob die Implementierung erfolgreich sein wird oder nicht. Die Wahl einer Brownfield-Migration oder einer Greenfield-Neuimplementierung hat extreme Auswirkungen auf Setup, Durchführung und Ergebnis des Projektes.
Hierbei führen nicht alle Wege nach Rom. Eine Brownfield-Migration gibt dem Projekt den technischen Charakter einer IT-Initiative. Sie definiert die Ausgaben als Kosten und hat ein Ergebnis zur Folge. Das ist in Bezug auf die Veränderungen zwar wenig disruptiv, aber in Sachen Business-Mehrwert auch eher gering. Ein Greenfield-Ansatz macht das Projekt zu einer strategischen Business-Initiative, welche die Ausgaben als Investition definiert und durch die starke Veränderung von Prozessen und verwendeten Capabilities disruptiv aber Mehrwert-stiftend ist.
Ob für eine „smoothe“ Migration die individuellen Systemvoraussetzungen gegeben sind oder die Bereitschaft der Anwender sich auf einen Fit-to-Standard einlassen, sind kritische Dinge, welche über Erfolg und Misserfolg entscheiden.
Da unterschiedliche Organisationen mit ihren systemtechnischen Altlasten und kulturellen Eigenheiten, vor allem aber auch ihrer Strategie und den bevorstehenden Herausforderungen nicht für beide Optionen geeignet sind, ist es elementar mit einem kompetenten SAP-Beratungshaus eine Vorstudie zu unternehmen, welche zunächst die Kundensituation, Strategie und Herausforderungen analysiert und eine klare Architektur und Empfehlung für Roadmap und Ansatz erarbeitet.
Ursache 2: Wahl des falschen Implementierungspartners
„Mit der Wahl Deines Arztes triffst Du die Wahl Deiner Krankheit!“ ist ein bekanntes Zitat aus der TV-Serie „Dr. House“. Sie lässt sich ideal auf die Wahl des SAP-Implementierungspartners übertragen: Mit der Wahl des Partners treffe ich bereits zu Beginn die Entscheidung, was am Schluss herauskommt.
Hier lauern zwei Gefahren. Die erste ist die Wahl des billigsten Anbieters bei Ausschreibungen. Ein erfahrener CIO hat mal gesagt: Für ihn gilt die Faustregel, dass bei einer Ausschreibung mindestens zwei Anbieter Scope und Aufwand eines Einführungsprojektes falsch einschätzen und dass die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass diese der günstigste und der teuerste Anbieter sind.
Und tatsächlich scheitern viele Einführungen daran, dass die Berater mit der Komplexität überfordert sind oder Change Request Streitigkeiten und Budget-Overruns das Projekt in die Knie zwingen.
Ebenso sollte man sich genau ansehen, wie sich der Partner selbst definiert: Als klassischer System-Integrator, welcher einen technischen Service erbringt, aber kaum eine eigene Vision hat wie ein modernes ERP-Mehrwerte liefern kann – oder als Value-Add-Partner, der auf Augenhöhe mit den Kunden tatsächlich berät anstatt nur begleitet.
Ursache 3: Missachtung der Wichtigkeit von Change-Management
Viele Kunden oder Implementierer möchten den Aufwand gering halten. Das Erste, was sie dann oft aus der Kalkulation streichen, ist das Change-Management. Das wird gerne mit den Sätzen „das machen wir selbst“ oder „das kann der Projektleiter ja gleich mitmachen“ begleitet.
Dabei ist es von zentraler Wichtigkeit: Es stellt sicher, dass Mitarbeiter die notwendigen Veränderungen verstehen, akzeptieren und erfolgreich umsetzen – was die reibungslose Integration und Nutzung der neuen Technologie maßgeblich fördert.
Das Change-Management ist das Getriebe, das die PS der neuen SAP S/4HANA-Capabilities auf die Straße bringt. Vernachlässigt man dies bei der Implementierung, werden die ERP-Anwender stets nur im ersten Gang unterwegs sein oder die neuen Capabilities nicht annehmen.
Kommen Ihnen diese Punkte bekannt vor? Jeder wird diesen früher oder später begegnet sein. Deswegen ist es wichtig sich die Zeit zu nehmen, mit einem guten Berater die individuelle Situation zu analysieren und den richtigen Ansatz für die Implementierung zu finden. Sich nicht nur mit dem „Was“ und „Warum“, sondern auch mit dem „Wie“ beschäftigt zu haben, ist gut investiertes Geld, welches sich während der Implementierung und später bei der Anwendung mehrfach auszahlen wird.