Mit dem Finance-First-Ansatz reduzieren Unternehmen die Komplexität und das Risiko des Umzugs nach SAP S/4HANA, meint Holger Turanskyj von Gambit Consulting. Er bezeichnet ihn als einen der attraktivsten Wege in die neue SAP-Welt, weil weit verteilte und gewachsene Systemlandschaften elegant und schrittweise umgestellt werden können.
Wie man vorgehen kann, welche Rolle SAP Central Finance spielt, wie die Logistikprozesse umgesetzt werden können und warum dieser Weg für viele Unternehmen und Konzerne eine zu untersuchende und wichtige Option ist, erläutert er in seinem Gastbeitrag für das IT-Onlinemagazin.
Zugegeben, die Headline trügt ein wenig. Denn ganz so neu ist der „Finance First Approach“ gar nicht mehr. Noch immer ist im Netz ein Beitrag von SAP aus dem Jahr 2019 zu finden, in dem der Ansatz vorgestellt wird. Das ist fünf Jahre her.
Schon damals bezeichnete SAP den Finance-First-Ansatz über SAP Central Finance als „Königsweg“ und einen der „attraktivsten“ Wege nach SAP S/4HANA – und ich würde sagen: Daran hat sich nichts geändert. Mehr noch: Der Weg ist seit zwei bis drei Jahren endgültig ausgereift und richtig im Markt angekommen!
Und „Finance First“ wird nicht nur von einer immer größeren Zahl von Unternehmen nachgefragt und gerade als „neuer Weg“ entdeckt. Der Weg ist heute meines Erachtens tatsächlich ein vollwertiger und gleichberechtigter Ansatz neben den bekanntesten Umstiegsoptionen „Grün“ und „Braun“.
Ein heterogenes System? Ist kein Hindernis mehr.
Wenn ich eine eigene Farbe für „Finance First“ wählen müsste, wäre es wahrscheinlich am ehesten Weiß, weil diese Farbe genau die Vorteile symbolisiert, für die dieser Ansatz am ehesten steht: Klarheit und Einfachheit!
Top-Entscheidern sind die Farben erfahrungsgemäß aber gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist ihnen, wie sie die operativen und strategischen Ziele ihres Unternehmens am besten erreichen können. Und hier kann der Ansatz mächtig punkten, wenn eine bestimmte Ausgangssituation vorliegt.
Das ist dann der Fall, wenn Unternehmen über weit verteilte, komplexe und heterogene Systemlandschaften verfügen. Denn obwohl der Wechsel nach SAP S/4HANA für große Unternehmen und Konzerne bisher oft nahezu unmöglich erschien, bietet sich mit diesem Weg auch für solche Unternehmen eine Umstiegsmöglichkeit.
Schrittweises Vorgehen senkt die Risiken
Bei Gambit zum Beispiel haben wir gerade ein Projekt für einen Konzern abgeschlossen, der eines der größten Retail-Systeme in Europa betreibt. Ein „normaler“ Umzug nach SAP S/4HANA mit klassischem Big-Bang am Ende? Das wäre für dieses Unternehmen viel zu komplex und risikoreich gewesen!
Mit „Finance First“ ließ sich der Umzug dagegen meistern, weil – und das ist der Kern des Ansatzes – der Wechsel nach SAP S/4HANA mit Hilfe der Zusatzfunktion SAP Central Finance in zwei Phasen aufgeteilt wird. Es gibt demzufolge also keinen Big Bang ganz am Ende des Projekts. Sondern das Projekt folgt einem agilen, schrittweisen Vorgehen – ein Vorgehen, mit dem Unternehmen die Risiken solcher Großprojekte senken und die Komplexität deutlich reduzieren können.
SAP S/4HANA lässt sich zudem schon während des laufenden Projekts nutzen, so dass sich frühzeitig Erfahrungen mit der neuen ERP-Suite sammeln lassen. Funktionen wie das zentrale Cash Management oder die neue UX SAP Fiori stehen zum Beispiel mit Hilfe des Ansatzes für Anwender früher zur Verfügung.
So setzt man „Finance First“ in der Praxis um
Aber wie funktioniert der Finance First Approach genau?
Wie der Name schon sagt, erfolgt in Schritt eins zunächst der Umzug des Finance-Bereichs nach SAP S/4HANA. Dazu braucht es die Zusatzfunktion SAP Central Finance. Gleichzeitig werden zentrale Finanzprozesse wie Advanced Payment Management oder Group Reporting im System etabliert.
Im zweiten Schritt überführen Unternehmen die logistischen Daten und Prozesse („Logistic Follows“) und damit die verschiedenen Gesellschaften des Unternehmens nach beliebigen Schnittmustern schrittweise nach SAP S/4HANA.
Die Logistik-Prozesse können dabei sogar unterhalb der Buchungskreise geschnitten werden – also zum Beispiel nach Werken, Divisionen oder Prozessen. Der Vorteil: Ein solches Vorgehen ist erheblich leichter und risikoärmer als der Schnitt über die einzelnen Buchungskreise der Gesellschaften.
Das ist SAP Central Finance „classic“
Um den Finance-First-Ansatz noch besser zu verstehen, hilft ein Blick auf die Lösung SAP Central Finance in der klassischen Variante – also auf die Verwendung, für die Central Finance ursprünglich entwickelt wurde und selbstverständlich immer noch genutzt werden kann.
Einfach gesagt ist SAP Central Finance eine operative Plattform für Finanzen, Reporting, Controlling und Konsolidierung, mit der sich Daten und Prozesse aus den Bereichen Finance und Controlling in heterogenen Systemlandschaften zentralisieren lassen – und zwar ohne Änderungen in den Quellsystemen selbst.
Ist Central Finance einmal eingerichtet, werden die Daten aus den verschiedensten Quellsystemen eines Unternehmens – ob nun SAP- oder Non-SAP-Systeme – über einfaches Mapping in die voll harmonisierten Strukturen des Systems repliziert. Dort stehen sie dann für das Reporting oder für konzernweite Konsolidierungen zur Verfügung. Und dies alles passiert nahezu in Echtzeit, also innerhalb von Sekunden nach einer Abfrage.
Das neu etablierte SAP-Central-Finance-System ist damit der eine zentrale Ort, an dem alle Finance- und Controlling-Daten weltweit zusammenlaufen – und den sich viele CFOs heute wünschen. Ein „Single Point of Truth” – mit Central Finance lässt sich dieses Ziel erreichen!
Gehört in jedes Roadmap-Programm!
Dass mit SAP Central Finance nun aber sogar noch mehr geht, das ist eine gute Nachricht für alle Unternehmen, die über weit verteilte und gewachsene Systemlandschaften verfügen und für die der Umzug nach SAP S/4HANA bisher nur sehr schwer umsetzbar erschien.
Weniger Risiko. Eine geringere Komplexität beim Umzug. Das frühere Nutzen der Funktionen von SAP S/4HANA. Harmonisierte Finanzzahlen auf Knopfdruck. Die zahlreichen Vorteile von „Finance First“ liegen auf der Hand. Große Unternehmen und Konzerne, die den Umstieg nach SAP S/4HANA noch vor sich haben, sollten den „neuen Weg“ daher in jedem Fall in ihre Routenplanung mit aufnehmen und bei einer Voruntersuchung mit anschauen.